Bloodseal: Flucht ins Ungewisse (German Edition)
zusammen und warf mich Simon, ohne zu zögern, in die Arme. Er sagte irgendwas, was ich jedoch wegen des Rauschens meines Blutes in den Ohren nicht verstand. Etwas Hartes drückte in meinen Hüftknochen. Das musste eine seiner Dosen sein. Aber das war mir egal. Ich zitterte, war zwischen Angst und Erleichterung gefangen und war kurz davor, theatralisch zusammenzubrechen.
Simon taumelte zurück, drehte sich dann mit mir etwas, bis er (und meine an seinem Rücken verschränkten Arme) an einer Wand lehnte. Er ließ sich langsam mit mir zu Boden sinken, da er offensichtlich wusste, dass ich ihn in den nächsten Minuten nicht loslassen würde. Mein Gesicht in seiner Schulter vergraben, die nach Lack und etwas Metallenem roch, blieben wir eine Zeit lang schweigend sitzen. Ich fand kein Wort, was auch nur annähernd beschrieben hätte, wie ich mich gerade fühlte. Fühlte ich überhaupt noch etwas? Ich setzte ein paarmal an, um etwas zu sagen, scheiterte jedoch immer wieder daran. Weshalb ich das einzig denkbar Logische tat. Ich heulte Rotz und Wasser, was manchmal mit einer Art Schluckauf-Lachen vermischt wurde. Simon strich mir langsam über den Kopf, immer und immer wieder. Nach einiger Zeit verstand ich dann auch, was er zu mir sagte: „Alles ist gut, Kleine! Du hast viel durchgemacht!“
Stillschweigend zogen zwei Tage an mir vorbei, in denen ich versuchte, Ordnung in meinem Kopf zu schaffen. Erfolglos. Aber immerhin versuchte ich es.
Man konnte ja kaum behaupten, dass es täglich vorkam, dass ein einigermaßen normal denkendes Mädchen in eine reine Fantasy-Story (oder Horrorgeschichte à la Stephen King) stolperte und sich gleich darin zurechtfand. Vielleicht, wenn ich von klein auf immer nur mit Waffen anstatt mit Plüschtieren gespielt hätte, aber das hatte ich nicht. Ich war normal. Na ja, zumindest halb.
Die letzten Tage waren weitgehend ereignislos (bis auf mein Hirnchaos). Matt hatte sich gleich am nächsten Morgen mit Nick und Jess auf den Weg gemacht, um sozusagen unsere Kraftreserven wieder aufzufüllen. Und ich musste mir eingestehen, dass ich mich seitdem wieder etwas besser fühlte. Nicht mehr so entsaftet wie ein alter Traktor, der ein Leck im Tank hatte. Aber die Hilflosigkeit in mir war immer noch da. Ich fühlte mich nicht nur, als hätte mich ein Freund, sondern die ganze Welt hintergangen. Ein beschissenes Gefühl.
Matt schien wie ich in sich selbst geflüchtet zu sein, redete nur wenig, wenn überhaupt. Andererseits konnte ich froh darüber sein, denn immer wenn sich unsere Blicke trafen, sahen wir beide schnell zur Seite. Die Aktion letztens, dieser „Fast-Kuss“, war nicht gerade hilfreich für eine reibungslose, normale Freundschaft gewesen.
Simon war gestern Abend wieder abgereist. Widerstrebend, muss man dazusagen. Ich hatte darauf bestanden, denn hier, in meiner Nähe, war er nicht sicher. Er hatte die Zeit bis dahin gemeinsam mit mir in Nicks Waggon verbracht, wobei Matt uns so gut wie nie aus den Augen gelassen hatte. Er hatte nicht nur einmal sein Unbehagen erwähnt, was Simons „Entlassung“ betraf.
Doch Simon hatte mir um die hundertmal versichert, dass mit ihm alles in Ordnung sei und er von Amanda bereits alles erfahren hatte. „ Auch wenn das Ganze schwer zu glauben is’“ , hatte er kopfkratzend ergänzt.
Gleich darauf wollte er auf Matt losgehen, weil Simon ihm für all das die Schuld gab.
War es das? War es Matts Schuld? Ich hatte keine Ahnung von nichts …
Nur mit viel Zureden und bescheuertem Schulterstreicheln (was ich nur einmal bei Matt getan hatte, worauf ich mich am liebsten geohrfeigt hätte) konnten sich die beiden wieder beruhigen. Matt hatte etwas Unverständliches gebrummt und Simon war (da er hier sonst keinen verdreschen konnte) mit seinen Spraydosen bewaffnet verschwunden. Er fühlte sich immer besser, nachdem er staatliches Eigentum verschönert hatte.
Und heute war er. Der erste Schultag nach diesem ganzen Mist, der mir bereits gewaltig auf den Keks ging. Ich konnte es mir nicht erlauben, auch nur einen Tag zu fehlen, da die aufgeputzte Schuldirektorin sonst sicher Margret angerufen hätte. Dann würde vielleicht auch noch die Schule nach mir suchen. Was wiederum hieß, dass sie die Polizei einschalten würden. Kein sehr aufheiternder Gedanke.
Ich rutschte von Nicks Rücksitz und stand wieder einmal am überfüllten Parkplatz vor dem U-ähnlichen Schulgebäude. Nick, der Sportfreak unter uns, hatte natürlich einen eigenen Parkplatz, den nur
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