Vorbei: Drei Erzählungen (German Edition)
«Ach, wissen Sie. Erzählen Sie doch nichts. Was verstehen denn Sie davon. Ich ein Abenteurer? Louis war mein Patient!»
Dr. Clark legte seine Bruyère auf den Rand des Aschenbechers und stand vom Sessel auf. Hammerton blieb sitzen.
«Louis kam Ende ’73 in meine Londoner Praxis. Ich habe gesehen, was mit ihm los ist. ‹Sie müssen sofort an die Côte d’Azur. Am besten nach Menton. Der Winter in Edinburgh ist Gift für Sie. Und rauchen Sie nicht mehr!›»
«Menton ist ein teures Pflaster», sagte Hammerton.
«Seine Eltern … Sie kamen extra nach London, um sich zu vergewissern. Ich habe ihnen klipp und klar gesagt: ‹Seine Lunge ist in einem bedenklichen Zustand. Und er ist nervlich am Ende.› Louis’ Mutter wollte wissen, ob sie ihn nach Frankreich begleiten solle. ‹Nein›, habe ich gesagt. ‹Er braucht einen kompletten Klimawechsel. Umfeld, Essen, Gesellschaft. Fremde werden ihn viel eher zu sich bringen als Sie es könnten.›»
«Ist er nach Menton gegangen?»
«Natürlich. Der Winter in Menton ist mild. Menton ist gegen Nordwinde geschützt. Dagegen Edinburgh: feucht, kalt, windig.»
«Hat er zu rauchen aufgehört?»
«Nein.»
«Ihr Vorhaben bleibt abenteuerlich», sagte Hammerton. «Fürchten Sie das oder wünschen Sie es.»
«Ich fürchte es und wünsche es.»
«Wenn Sie es wünschen, so sage ich: Kommen Sie mit! Sie können während der Reise Briefe verfassen, die wir in jedem Hafen auf die Post geben. Sie erscheinen regelmäßig in einer Zeitschrift, und am Ende füllen Sie vielleicht ein Buch.»
«Der Gedanke gefällt mir», sagte Hammerton. «Wann müssen Sie meine Antwort wissen?»
Dr. Clark nahm seine Bruyère zur Hand. «Ich reise in zwei Tagen nach Deutschland. Es genügt, wenn Sie mir nach meiner Rückkehr Bescheid geben.»
Dr. Clark wußte nur, daß Behrens sich in Nürnberg als Lebküchner niedergelassen hatte. Seine Adresse kannte er nicht.
Er betrat die erstbeste Lebküchnerei und fragte nach Carl Friedrich Behrens.
Die Antwort war: «Meinen Sie den wohlversuchten Südländer?»
«Sie kennen ihn?»
«Wer von uns kennt Behrens nicht. Sie finden ihn ganz in der Nähe. Gehen Sie unsere Straße hinauf, die zweite Querstraße links, das dritte Haus rechts.»
Behrens war zu Hause. Dr. Clark, hocherfreut, sagte: «Verehrter Herr Behrens, ich bin glücklich, Sie anzutreffen. Mein Name ist Dr. Clark, meines Zeichens Arzt in London.»
Behrens sagte gleichmütig: «Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?»
«Sie werden es mir hoffentlich nachsehen, wenn ich bekenne, daß es mich wehmütig berührt, den berühmten Seefahrer mit Mandeln und Honig hantieren zu sehen.»
«Achten Sie die Lebkuchen nicht gering, mein Herr. Ich wollte, es wären auf See immer genug davon zur Verfügung gewesen.»
«Ich möchte mit meinem Wunsch nicht hinter dem Berg halten. Es wäre mir eine Freude, Sie für eine große Fahrt gewinnen zu können.»
«Wohin soll es gehen?»
«Sie fuhren seinerzeit auf der ‹Arend› unter Kapitän Jobon Koster. Ich will Kapitän Koster dazu bewegen, sein Schiff neu auszurüsten, so daß wir die Reise in Gottes Namen antreten können.»
Behrens schüttelte den Kopf. «Wissen Sie, was Sie da sagen? Wir hatten damals drei Schiffe. Die ‹Arend› unter Kapitän Koster, die ‹Thienhoven› unter Kapitän Cornelis Bouman und die ‹Afrikaansche Galey› unter Kapitän Rosendahl. Mit nur einem Schiff wäre die Reise schwerlich gutgegangen. Bedenken Sie, daß wir gut ausgerüstet waren. Auf der ‹Arend› mit 111 Mann und 36 Kanonen, auf der ‹Thienhoven› mit 100 Mann und 28 Kanonen, auf der ‹Afrikaansche Galey› mit 60 Mann und 40 Kanonen. Vor allem aber: Die Expedition stand unter dem Oberbefehl von Admiral Jacob Roggeveen, der mich übrigens dank der Vermittlung meines Zürcher Freundes Kaspar Scherer als Kommandeur der Seesoldaten in Dienst genommen hat. Ein Mann wie Roggeveen findet sich nicht noch einmal. Das alles ist lange her. Warum sich noch einmal quälen.»
«Das Abenteuer.»
Behrens sagte: «Als ich jung war, trieb es mich immerfort zu nichts anderem als zu weiten Reisen, auf dem Wasser oder zu Lande. Aber jetzt … Möchten Sie zum Tee meinen Lebkuchen probieren?»
Der Tee war nicht nach Dr. Clarks Geschmack; er sagte: «Ihr Lebkuchen schmeckt köstlich. Es wäre zu wünschen, man könnte eine beträchtliche Menge davon mit auf die Reise nehmen.»
«Keine schlechte Idee. Der Lebkuchen ist haltbar. Aber Sie haben
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