Bluescreen
trugen – Stoffen etwa aus dem Hause Missoni. Doch reiche Menschen, so viel wusste ich schon damals, sind Sklaven. Erst nach und nach bemerkte ich, dass noch eine ganz andere Gruppe existierte, Menschen, denen ich auf der Straße und auf Augenhöhe begegnete und die meine Hoffnungen erfüllten. Aber diese Individuen trugen ausschließlich Blau, in den unterschiedlichsten Tönen: von Violettblau über das dunkle Blau der Regenwolken bis hin zu jenem fahlen Leuchten auf den hauchdünnen Umschlägen, in denen man Luftpostbriefe verschickt.
Dieses Blau schien mir eher das Ergebnis zwanghafter Eigenbrötlerei zu sein denn das Erkennungszeichen einer Subkultur oder das Emblem eines Clubs. Der eigentliche Impuls offenbarte sich leise, man ließ die Kleidung sprechen. Punks trugen manchmal dieses Blau, einige zumindest. Sie hatten es auf ihre mit Nieten besetzten Lederwesten gemalt, sprühten es oben auf ihre Irokesenfrisuren oder färbten sich ihre strähnigen Haare in diesem Ton, und natürlich sah man es auch auf den polierten Dr.-Martens-Stiefeln, die viele von ihnen an hatten. Gruftis kombinierten es mit schwarzem Krepp. Der Drang zum Blau zeigte sich darüber hinaus bei älteren Frauen, die Röcke, Blusen und Kostüme in Lilatönen trugen. Tatsächlich gehörte die von Sandra Martz herausgegebene Anthologie When I am an Old Woman I Shall Wear Purple zum Inventar der öffentlichen Bibliotheken, in denen ich meine frühe Kindheitvertrödelte. Es lag meist gleich neben den Polstersesseln, um vom nächsten Mitglied der Schwesternschaft aufgehoben und gelesen zu werden.
Sehr oft waren es schließlich Schwarze, die sich komplett in Blau kleideten. (Amerikaner benutzen das Wort »schwarz« und damit eine Farbterminologie, die noch aus der Zeit des Rassenterrors stammt.) Dieses Blau, denke ich, war das Blau der Afroamerikaner.
Entsprechend den vier Abschnitten, in die sich der menschliche Körper zwischen Scheitel und Sohle gliedert, benötigte man vier Elemente: einen blauen Hut oder blau gefärbtes Haar; eine blaue Jacke oder ein blaues Hemd; blaue Hosen; blaue Schuhe. Brother Blue zum Beispiel war der Lokalmatador in Boston, ein Geschichtenerzähler und Dichter, der immer dort war, wo etwas passierte. Er hatte helle Haut, etwa wie Kaffee mit Milch. Wenn ich mich recht entsinne, bestand sein Kostüm aus einer Baskenmütze, einer leichten Regenjacke aus Seide – oder trug er doch eine Nehru-Jacke? –, blauen Hosen und blauen Schuhen. Brother Blue war nicht mehr der Jüngste und starb in meinen Teenager-Jahren. Er hatte großen Erfolg, und die Leute mochten ihn gern.
Auf der anderen Seite des Flusses, in Cambridge, gab es in dieser Zeit einen Fahrrad fahrenden Landstreicher, der ebenfalls ausschließlich Blau trug und dem die Gäste der Cafés manchmal eine Tasse ausgaben, wenn er vorbeiradelte. Seine Fans nannten ihn den »Bürgermeister vom Central Square«. Der »Bürgermeister« war ein bisschen verrückt: Er hatte das Antlitz eines Senators, umkränzt von schwarz-grauen Locken, auf denen er einen Eishockeyhelm trug. Diesen hatte er mit Aluminiumfolie nachgerüstet, um ihn auch auf interstellaren Reisen nutzen zukönnen. Ein kosmisches Kostüm also, dessen Blau von zwei Ketten aus Katzenaugen unterbrochen wurde, die er sich über die Brust geworfen hatte wie Pancho Villas Revolutionäre ihre Patronengurte.
»Schwarz« ist vermutlich die Farbe, der man in Amerika nicht ausweichen kann. Spuren davon pulsieren im Kreislauf der Nation, manchmal machen sie uns krank. Als Schwarzer Blau zu tragen, ist in etwa so, als zöge man eine arbiträre Farbe an, um eine andere in den Vordergrund zu rücken. Man legt ein Zeichen an, das für jenes Ding steht, als das man betrachtet und angerufen wird, während man diese Bedeutung zugleich verweigert oder verschiebt. In einer einzigen Geste kommen so das Wissen um die Einschränkungen, denen man unterliegt, und ihre magische Zurückweisung zum Ausdruck. »What did I do / to be so black and blue?«, sang Fats Waller (der später auf bedeutende Weise von Ralph Ellison zitiert wurde). »Blue« im Sinne von verletzt und mit blauen Flecken übersät; »blue« im Sinne von »schwarz«; im Sinne von »I’ve got the blues« oder »ich bin traurig«; und natürlich im Sinne von »blau«, dem Sprössling des Firmaments und der himmlischen Sphären.
Einmal beging ich den Fehler, einem Freund meine Theorie darzulegen. Dass Blau die wahre Farbe der Seelenfreiheit sei. Dass sie einen
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