Blüten, Koks und blaues Blut
seltsamen „Selbstmorde“
erinnert, die sich in letzter Zeit in deutschen Gefängnissen ereignet haben.
Léo Malets Held macht sich an die Nachforschungen, so wie man sich in ein
Vergnügen stürzt. Das Objekt seiner Jagd hatte für ihn weniger Bedeutung als
die Jagd selbst. Seine Respektlosigkeit, sein Zynismus und sein Individualismus
sind dabei seine besten Karten. Man wußte damals noch nicht, wie lange dieser
Mann den Tod herausfordern und weiter durchs Leben schlendern würde; aber
sollte „diese häßliche Vogelscheuche“, wie Boris Vian den Tod nannte, ihn zu früh
holen, würde Nestor Burma dem Leben wahrscheinlich zurufen: „Adieu, mein
Schatz!“ Denn Nestor Burma verspürt keinerlei Hang zu Gott und hütet sich
davor, ihn um etwas zu bitten.
Glücklicherweise hatte der Privatdetektiv aber
eine lange Karriere vor sich. Leo Malet hat ihn noch in zahlreiche Abenteuer
verwickelt, insbesondere in „Malets Geheimnisse von Paris“, einer Serie von
Romanen, die — gemäß der Regel von der Einheit des Ortes — jeweils in den
Grenzen eines Pariser Arrondissements spielen.
Hinter den Zügen Nestor Burmas entdeckt man die
des Léo Malet. Wie seine Hauptfigur eine Nomadennatur, ist Léo Malet den
verschiedensten Beschäftigungen nachgegangen. Chansonsänger in Montmartre vom
sechzehnten Lebensjahr an und später „Ghostwriter für einen analphabetischen
Meistersinger“ hat er stets die Armut gekannt und manchmal sogar als Clochard
leben müssen. Anarchist in den zwanziger und Surrealist in den dreißiger
Jahren, trat er mit hinreißenden, aufregenden Gedichten, die voller Spannungen
und Widersprüche sind, an die Öffentlichkeit:
Neige fondue en
robe noire des tropiques...
G
eschmolzener Schnee
in schwarzem Gewand der Tropen...
Léo Malet charakterisiert sich selbst als einen „grausamen
Gefühlsmenschen“, in dem sich der Sinn für Komik mit dem Verlangen nach
Begegnungen mit anderen Menschen vereint.
Aber momentan scheint der Sinn für Komik in
seinen Werken die Oberhand zu haben. Der Haß auf jeglichen Konformismus hat
sich offenbar noch verschärft. Allerdings bietet sich unsere Zeit auch dazu an.
Mit spöttischem Blick gibt Malet zu verstehen, daß die Literatur ihn nicht
reich gemacht habe, daß er in einer Sozialwohnung in Châtillon-sous-Bagneux
wohne und kaum noch in Paris umherschlendere. Denn die Stadt mit ihrem einst
ländlichen Charme, vermischt mit den Verlockungen einer Großstadt, sei beinahe
verschwunden und der allgemeinen Uniformität gewichen.
Dabei war Léo Malet ein unermüdlicher und
leidenschaftlicher Spaziergänger, eine Art wandernder Reporter, ständig auf der
Suche nach dem Leben, das sich in Paris abspielte, ein Träumer auf der Lauer,
der die Geheimnisse zu entdecken versuchte, die einem diese Stadt offenbart „wie
eine Frau, die ihr Kleid mit der kühlen Ruhe eines Mörders fallenläßt, zum
Strandgut geworden auf der unruhigen Woge ihres aufgelösten Haares.“ In Paris
verliebt, hat Léo Malet sich verglichen mit „jenen abgewiesenen Liebhabern, die
nur um so sehnsüchtiger die Schöne beim Entkleiden beobachten“. Da sie ihr
schon lange den Hof machen, kennen sie ihr Gesicht in allen Einzelheiten. Historiker,
die später einmal die Sitten und Gebräuche dieser Stadt in den fünfziger Jahren
untersuchen werden, „müssen“, so Albert Simonin, „die Bücher von Léo Malet mit
einbeziehen.“
Malets Geheimnisse von Paris haben Nestor Burma in fünfzehn Pariser Arrondissements
geführt. Um die Serie zu vervollständigen, müßte er noch im 7., 11., 18., 19.
und 20. Arrondissement seine Nachforschungen anstellen. Indessen fragt sich Léo
Malet, ob er seinen Detektiv nicht neue Abenteuer bestehen lassen soll. Er
empfinde manchmal ein Gefühl der Trauer für seine Romanfiguren. Dies gesteht er
mit ironischer Traurigkeit, mit spöttischer Melancholie, so als wolle er sagen:
Das rührselige Genre behagt mir nicht sehr! Aber wie kann man bei diesem
verdammten Nestor schon sicher sein? Eines Tages wird er vielleicht erneut in
Malets Gedanken umherspuken, um von ihm nach Montmartre geschickt zu werden.
Dort würde man dann den „Dynamischen Detektiv“ in den „Verrückten Fünfzigern“
erleben können, wie er, Nietzsche lesend, seine Nachforschungen durch- und uns
wieder einmal seine fröhliche Philosophie vorführt.
‘
François Bott
(Redakteur bei Le Monde)
Selbstmord
im Morgengrauen
Am 25. Juli 193X traf ich in Cannes ein.
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