Blut im Schnee
genug vom Schicksal. Ihr kommt sicher zwei Minuten ohne mich aus – ich geh mal pinkeln.“
Da beide nickten, drehte er ihnen den Rücken zu und steuerte den Gang mit den Toiletten an. Bei den Damen herrschte schon das übliche Schlangestehen vor der Tür, während sich die Männer fast die Klinke in die Hand gaben. Ohne Wartezeit trat Thorsten an ein freies Pissoir und erleichterte sich. Nachdem er die Spülung betätigt hatte, hielt er kurz inne. Gedämpftes Stöhnen war aus einer der Kabinen zu vernehmen, was ihn schmunzeln ließ. Der Abend war noch früh und es ging schon zur Sache. Das heutige Publikum bot auch sicher mehr Auswahl an schwulen Kerlen, als es sonst üblich war.
Kapitel 16
Auf dem Rückweg zur Theke musste Thorsten sich an einigen Tanzenden im Vorraum vorbei schieben. Kim und Enrique schienen in eine rege Unterhaltung vertieft zu sein, die abrupt endete, als er wieder zu ihnen stieß.
„Lästert ihr über mich?“
„Nein!“, entrüstete sich Kim, dann grinste sie breit. „Ich habe nur gerade gehört, dass du bereits Gelegenheit hattest, diesen herrlichen Körper näher zu erkunden.“
Thorstens Blick schoss zu Enrique. „Musstest du ihr das gleich auf die Nase binden?“
„So weit ich weiß, war sie doch eine sehr gute Freundin von Martin. Ich wollte nicht, dass sie dir böse ist.“
Thorsten grunzte. „Was er getan hat, kann ich auch – das waren im Übrigen ihre Worte. Also mach dir keinen Kopf!“
Enrique machte eine entschuldigende Geste. Kim hüpfte von ihrem Hocker herunter und hakte sich bei Thorsten ein.
„Lass uns tanzen, dafür sind wir doch hier, oder?“
„Du schon, er nicht“, erwiderte er und deutete mit einem Kopfnicken auf Enrique.
„Du kannst aber trotzdem mit mir die Tanzfläche stürmen. Oder hattest du vor, die ganze Zeit an der Theke zu sitzen?“
„Eigentlich nicht.“
„Dann komm!“, forderte Kim.
Enrique warf Thorsten einen mahnenden Blick zu, was diesen die Augen verdrehen ließ. Für seinen Geschmack hatte er nun oft genug gehört, dass er achtsam sein sollte. Als Kim ihn mit sich zog, warf er Enrique eine Kusshand zu und ließ sich dann von der quirligen Frau durch die Leute ziehen. Kaum dass sie die Fläche im angrenzenden Raum erreicht hatten, begann Kim, sich zu den Rhythmen zu bewegen. Thorsten ließ sich von ihr anstecken und testete seine Salsa-Kenntnisse aus. Nach nur zwei Musikstücken war er wieder vollkommen im Takt und bildete mit Kim ein Paar.
Er bedauerte, dass er Martin nie mit dem Spaß am Tanzen hatte anstecken können. Gerne hätte er mit ihm eine solch heiße Sohle aufs Parkett gelegt, wie er es gerade mit Kim tat. Sie war eine tolle Tanzpartnerin und wenn er früher davon gewusst hätte, wäre er sicher öfter mit ihr ausgegangen. Die Leute um sie herum ließen ihnen ein wenig Raum, wobei sie anerkennende und neidische Blicke einheimsten.
Beinahe eine halbe Stunde ließen sie sich von dem Rhythmus treiben, bis ihnen die Puste ausging. Verschwitzt schlängelten sie sich durch die Menge zurück zu Enrique. Thorsten war in Hochstimmung. Es schien ihm, als habe das Tanzen eine Blockade in ihm gelöst. Er fühlte sich locker, woran das Bier sicherlich auch seinen Anteil hatte.
„Ihr seht ja fertig aus“, kommentierte Enrique, als die beiden neben ihn traten.
„Noch lange nicht!“, konterte Kim. „Nur eine Verschnaufpause.“
Enrique beugte sich zu Thorsten. „Ich habe euch kurz beobachtet – du machst das richtig gut. Wenn mir in den nächsten Minuten weiterhin nichts auffällt, dann sollten wir beide mal die Tanzfläche erobern.“
„Nichts dagegen. Bestellst du mir ein Bier, während ich eine rauchen gehe?“
„Klar.“
„Ich komme mit“, warf Kim ein. „Entschuldige, dass wir dich dauernd allein lassen.“
Enrique sah sich um und zog fragend die Brauen hoch. „Das nennst du alleine?“
„Du weißt schon, was ich meine.“
Enrique lachte und nickte ihr zu. „Sie ist echt locker“, sagte er an Thorsten gewandt, während Kim schon auf dem Weg nach nebenan war.
„Ein Mensch, der das Herz auf der Zunge trägt“, gab Thorsten zurück und folgte Kim.
Emsiges Treiben herrschte im Raucherbereich und es dauerte einen Moment, ehe er Kim erblickte, die sich einen Barhocker an der Theke erobert hatte. Er sah, dass sie sich etwas bestellte, und tastete sich zu ihr vor. Einen kurzen Moment dachte er, wenn der Laden immer so voll wäre, würden die Betreiber einen ordentlichen Umsatz machen. Im
Weitere Kostenlose Bücher