Blut im Schnee
Prolog
Leere Augen blickten in den wolkenverhangenen Himmel. Die ersten Schneeflocken dieses Winters rieselten auf den kalten, blutverschmierten Körper hinab. Die Scheinwerfer des Streifenwagens beleuchteten die Stelle und verliehen ihr etwas Unheimliches. Das flackernde Blaulicht ließ die Szene auf dem Parkplatz in der Maarstraße aussehen, als stamme sie aus einem Spielfilm.
Sarah Kern, die junge Polizistin, forderte über Funk die Kollegen der Kripo an, während ihr Kollege sich auf der anderen Seite des Parkplatzes übergab. Sie konnte ihn verstehen. Der Anblick des Mordopfers ließ auch ihren Magen rebellieren. Dass es sich um Mord handelte, war eindeutig.
Die Kleidung des etwa dreißigjährigen Mannes war grob zerrissen und mit Blut besudelt. Die Hose hing an den Knien und der Genitalbereich war verstümmelt worden. Als sie hier angekommen waren, hatte Sarah es nicht gleich erkannt. Erst bei näherem Hinsehen war ihr bewusst geworden, was man dem Opfer angetan hatte. Ihm war der eigene Penis in den Mund gesteckt worden .
Sarah steckte das Funkgerät zurück in die Halterung und atmete tief durch. Die eisige Winterluft strömte in ihre Lungen und verstärkte das Gefühl der Kälte noch. Hatte es hier jemals einen so grausigen Mord gegeben? Sie wusste es nicht.
Sie zitterte, als sie zu der Frau mittleren Alters trat, die die Polizei verständigt hatte. Glücklicherweise hatte diese den Toten nicht näher in Augenschein genommen. Dennoch sah man ihr deutlich an, dass ihr der Schrecken noch in den Knochen saß. Die Hände tief in die Taschen ihres Parkas vergraben, stand sie an der Parkplatzeinfahrt und blickte der Beamtin entgegen.
„Der ist wirklich tot?“, fragte sie, obwohl es mehr nach einer Feststellung, als nach einer Frage klang.
„Ja. Ich danke Ihnen, dass sie angerufen haben.“ Mit einem kurzen Schulterblick zu ihrem Kollegen, der sich inzwischen erholt hatte, griff Sarah die Zeugin am Arm und drehte sich mit ihr um, sodass diese die Fundstelle nicht einsehen konnte. Ihr Gespräch dauerte gerade einmal so lange, bis die Kollegen der Kripo und ein Krankenwagen am Ort des Verbrechens eintrafen.
Kapitel 1
Sonntag
Thorsten tigerte unruhig auf und ab. Martin hatte schon längst zurück sein wollen. Eigentlich hatte der gar nicht vorgehabt, zum Klassentreffen zu fahren, doch Thorsten konnte ihn dazu überreden. Wie oft sieht man schon seine ehemaligen Mitschüler? Besonders Martin, der wie er sagte, zu Schulzeiten heftigen Attacken seiner Mitschüler ausgesetzt war, sollte sich aus Trotz dort blicken lassen. Damit hatte Thorsten ihn jedenfalls ermuntert. Der Junge, der früher wegen seiner Homosexualität von den anderen geärgert worden war, sollte mit Stolz und hocherhobenen Hauptes zu diesem Treffen gehen. Der Junge, der heute ein erfolgreicher Geschäftsmann war … und immer noch schwul!
Jetzt machte Thorsten sich Sorgen. Es war bereits zwei Uhr durch. Vielleicht war seine Sorge unbegründet und Martin amüsierte sich köstlich. Dennoch blieb ein ungutes Gefühl, als er sich mit der Wolldecke aufs Sofa verzog.
Während er Löcher in die Luft starrte, malte er sich aus, dass sein Lebensgefährte eine tolle Nacht hatte. Vielleicht war er mit einem Teil seiner Ex-Mitschüler noch in eine Kneipe gegangen. Oder zum A1 gefahren, tanzen, feiern … was auch immer. Martin hatte sich bestimmt umsonst Sorgen gemacht, dass er weiterhin Probleme wegen seines Schwulseins haben würde. Aus den Teenagern mit der frechen Klappe waren Erwachsene geworden, die heute sicherlich mehr Verstand besaßen, als zu Schulzeiten.
Thorsten lächelte, als ihm in den Sinn kam, dass es eigentlich niemanden gab, der Martin nicht mochte. Herzensgut und hilfsbereit als Freund, pünktlich und aufrichtig als Geschäftsmann, als Partner treu und eine Granate im Bett. Seit acht Monaten waren sie jetzt ein Paar und Thorsten schüttelte den Kopf, als er daran dachte, was für ein Glück er doch hatte. Lange Zeit war es ein Wunschtraum gewesen, den perfekten Partner zu finden, jetzt war es die Wirklichkeit. Zusammen leben, alles teilen. Es war perfekt, auch wenn er jetzt hier auf dem Sofa hockte und auf seinen Mann wartete.
***
Joachim Gruber saß in seinem Wagen und fuhr die Kaiserstraße runter. Er hatte kaum geschlafen, dennoch war er hellwach. Müdigkeit konnte er sich nicht leisten, seit sie vor zwei Wochen das erste Opfer gefunden hatten. So wie es aussah, war er nun auf dem Weg zum Dritten. Es war
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