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Blut - Skeleton Crew

Blut - Skeleton Crew

Titel: Blut - Skeleton Crew Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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dass man sie eine Weile beobachten musste, um sich zu vergewissern, dass sie nicht tot war.
    O Gott, was ist, wenn sie mir wegstirbt, während Mama im Krankenhaus ist?
    Das wird sie nicht. Das wird sie nicht.
    Ja, aber falls doch?
    Die wird nicht sterben, also hör auf, eine Memme zu sein.
    Eine von Omis gelben, wächsernen Händen bewegte sich langsam auf der Decke: ihre langen Nägel streiften über den Bezug und erzeugten ein leises kratzendes Geräusch. George zog sich rasch zurück, sein Herz klopfte.
    Cool wie ein Elch, was, Schwachkopf? Den Schnattermann machen.
    Er ging in die Küche zurück, um nachzusehen, ob seine Mutter erst eine Stunde fort war oder vielleicht eineinhalb  – wenn letzteres der Fall war, konnte er schon begründet auf ihre Rückkehr warten. Er sah auf die Uhr und stellte überrascht fest, dass noch nicht einmal zwanzig Minuten vergangen waren. Mama war nicht einmal in der Stadt, geschweige denn auf dem Rückweg! Er stand still und lauschte der Stille. Ganz leise konnte er das Summen des Kühlschranks und der elektrischen Uhren hören. Das Schnuppern der Nachmittagsbrise um die Ecken des kleinen Hauses. Und dann – gerade an der äußersten Grenze des Hörbaren – das schwache, kratzende Rascheln von Haut auf Stoff – Omis faltige, talgige Hand, die sich auf der Decke bewegte.
    Er betete in einem einzigen geistigen Atemzug:
    Bitte Gottlasssienichtaufwachenbis Mamaheimkommtum Himmelswillenamen.
    Er setzte sich, aß das Plätzchen und trank sein Quik. Er überlegte, ob er den Fernseher einschalten und etwas ansehen sollte, hatte aber Angst, dass der Lärm Omi aufwecken und diese hohe quengelige, keinen Widerspruch duldende Stimme rufen würde: Ruuu-uuth! RUTH! BRING MIR MEINEN TEE! TEE! RU-U-UUUUUUTH!
    Er fuhr sich mit der trockenen Zunge über die noch trockeneren Lippen und befahl sich, keine Memme zu sein. Sie war eine bettlägerige alte Frau, es war nicht so, als könnte sie aufstehen und ihm etwas tun, und sie war dreiundachtzig Jahre alt, sie würde nicht ausgerechnet heute Nachmittag sterben.
    George stand auf und nahm wieder den Hörer ab.
    »… am gleichen Tag! Und sie wusste sogar, dass er verheiratet war! Herrgott, wie ich diese billigen kleinen Asphaltschwalben hasse, die sich für so klug halten! Also hab ich bei Grange gesagt …«
    George vermutete, dass Henrietta mit Cora Simard telefonierte. Henrietta hing an den meisten Nachmittagen von eins bis sechs an der Strippe, während im Hintergrund erst Ryan’s Hope und dann One Life to Live und dann All My Children und dann As the World Turns und dann Search for Tomorrow und dann Gott weiß welche Soap lief, und Cora Simard war eine ihrer getreuesten Telefonpartnerinnen, und sie unterhielten sich oft über 1) wer eine Tupper-Party oder eine Amway-Party gab und was für Erfrischungen dort angeboten wurden, 2) billige kleine Asphaltschwalben, und 3) was sie zu verschiedenen Leuten 3a) im Grange, 3b) bei der monatlichen Kirchenmesse oder 3c) beim K of P Hall Beano gesagt hatten.
    »… wenn ich sie wieder einmal so erwische, könnte ich wahrscheinlich eine Musterbürgerin sein und …«
    Er legte den Hörer wieder auf. Er und Buddy machten sich genau wie alle anderen Kinder über Cora lustig, wenn sie an ihrem Haus vorbeikamen – sie war fett und schlampig und geschwätzig, und sie sangen: Cora-Cora aus Bora-Bora, aß Hundedreck und fand ihn prima! und Mama hätte sie beide umgebracht, wenn sie das gewusst hätte, aber jetzt war George froh, dass sie und Henrietta am Telefon hingen. Von ihm aus konnten sie den ganzen Nachmittag tratschen. Er hatte sowieso nichts gegen Cora. Einmal war er vor ihrem Haus hingefallen und hatte sich das Knie aufgeschürft – Buddy hatte ihn gejagt –, und Cora hatte ein Pflaster auf die Wunde geklebt und ihnen beiden einen Keks geschenkt und die ganze Zeit geredet. George hatte sich geschämt, dass er so oft den Spruch mit dem Hundedreck und allem gesungen hatte.
    George ging zur Anrichte und holte sein Lesebuch. Er hielt es einen Augenblick in der Hand, dann legte er es zurück. Er hatte schon alle Geschichten darin gelesen, obwohl die Schule erst vor einem Monat wieder angefangen hatte. Er las besser als Buddy, dafür war Buddy in Sport besser. Jetzt wird er eine Weile nicht mehr besser sein, dachte er schadenfroh, nicht mit einem gebrochenen Bein.
    Er nahm sein Geschichtsbuch, setzte sich an den Küchentisch und begann nachzulesen, wie Cornwallis in Yorktown sein Schwert übergeben

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