Blut und Harz
unschlüssig an, bis Elias nickte.
»Ja, an diesem Ort kann Vater seinen Frieden finden. Ich bin dafür. Hat jemand Einwände?«
Niemand erhob seine Stimme. Nur einige Äste knarzten leise, als würden sie ihre Zustimmung kundtun.
»Gut«, sagte Burkard. »So soll es also sein. Wir werden ihn beim ersten Licht des Tages hier beerdigen.«
Erneut traten Tränen in Nataljas Augen. Wieder einmal wurde ihr die Endgültigkeit des Todes bewusst. Das unausweichliche Ende, das jeden treffen würde. Ein Schlussstrich. Danach folgte nichts mehr.
Sie spürte die Tränen warm und nass über ihre Wangen rinnen und von ihrem Kinn herabtropfen. Früher hätte sie sich dafür geschämt. Tränen bedeuteten Schwäche. Aber hier, in diesem Kreis von besonderen Menschen, war es in Ordnung. Es fühlte sich einfach richtig an. Auch in den Augen ihres Freundes glitzerte es nass im Feuerschein.
»Bevor ich euch zurückbringe und euch eure Zimmer für die Nacht zeige, müssen wir noch eine wichtige Angelegenheit regeln«, sagte Burkard. Sein faltiges Gesicht sah im tanzenden Licht aus wie die borkige Rinde der Bäume. Seine Augen wechselten langsam von einem zum anderen.
»Ihr braucht Namen. Es ist eine alte Tradition, dass sich jeder Bruder und ab jetzt auch jede Schwester -« er lächelte knapp in ihre Richtung »- einen Namen aussuchen kann. Hier heiße ich nicht Burkard Ritter. Dieser ist längst tot. Hier bin ich Vater Jan.«
»Wieso nennt man dich Vater und nicht Bruder?« wollte Natalja wissen.
Vater Jan lächelte. »Ein Privileg, das nur dem ältesten Bruder im Kloster zu Teil wird. Eine obsolete Tradition ohne weitere Bedeutung. Aber wir haben sie nie abgelegt. Warum auch? Wir zollen dem Alter Respekt und wenn ich nicht mehr bin, wird ein anderer Vater genannt werden.«
Natalja nickte verstehend.
»Ich möchte weiterhin Elias heißen«, sagte dieser leise, aber entschieden. »Warum einen anderen Namen annehmen, wenn meiner so gut ist, wie jeder andere auch. Namen sind doch eh nur Schall und Rauch.«
Vater Jan nickte. »Bruder Elias also. Willkommen im Orden.«
Der Alte verneigte sich vor seinem Enkel und dieser tat es ihm gleich.
Anschließend wand sich Vater Jan an Natalja.
»Und du, verehrte Tochter?«
Natalja zögerte. Die ganze Zeit, seit Elias ebenfalls die Aussagen von Bruder Raphael bestätigt hatte, hatte sie mit sich gerungen. Wollte sie wirklich hier in einem Kloster unter Männern leben? Wäre Elias nicht gewesen, hätte sie sofort abgelehnt. Aber so? Wie würde sich ihr Bruder entscheiden? Er hatte seit Eriks Tod kein einziges Wort mehr gesprochen und sich in Schweigen gehüllt wie in einen undurchdringlichen Mantel.
Stimmte die ganze Geschichte mit der Wende überhaupt? Wenn ja, und davon war sie mittlerweile fast überzeugt, wartete außerhalb des Klosters der sichere Tod. Aber wie konnte eine kleine Gemeinschaft an Menschen überleben? Wie sollte das möglich sein?
Ihre Gedanken standen ihr scheinbar ins Gesicht geschrieben, denn Vater Jan legte den Kopf zur Seite und musterte sie durchdringend.
»Was bedrückt dich?« fragte er sanft. »Woran zweifelst du?«
Natalja schluckte. »An allem! Wie wollt ihr hier überleben? Ein einzelnes Kloster umgeben von Wald und Wiesen? Allein gegen die Eiszeit. Es gibt nicht einmal etwas zu essen!«
»Da täuscht du dich, meine Liebe. Unsere Kammern sind voll mit Vorräten. Wir können uns volle zwei Jahre versorgen ohne dass jemand hungern oder verzichten muss. Wir haben einen eigenen Brunnen, der uns mit Frischwasser versorgt. Im Sommer wirft der Klostergarten so viel Essen ab, dass wir davon unsere Vorräte aufstocken können. Du glaubst nicht, was alles gedeiht, wenn man die Natur auf seiner Seite stehen hat.« Vater Jan lächelte schief. »Wir stellen sogar unseren eigenen Wein her. Nicht viel, aber dafür ist er so süß wie Traubenschorle und stark wie Honigmet. Nur Zigaretten wirst du vergeblich suchen.«
Natalja war nicht überzeugt. »Und was ist mit Medikamenten? Strom? Heizung?«
Erneut glätteten sich die Gesichtszüge des alten Mannes.
»Unter unseren Brüdern sind fast alle wichtigen Berufsgruppen vertreten. Wir haben zwei Ärzte in unseren Reihen. Zwei Köche, mehrere Handwerker und sogar einen ehemaligen Priester.« Tiefe Traurigkeit mischte sich in seine Stimme, als er hinzufügte: »Nur ein Lehrer und ein Elektriker fehlen uns jetzt. Beide starben vor den Toren.«
»Und einer im Flur zum Kreuzgang.« Als Natalja unerwartet die samtene Stimme
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