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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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    Wenn Sie jemanden nach einer Erinnerung fragen und er daraufhin eine Geschichte erzählt, lügt er.
    Ich mit fünf Jahren, zusammengekauert in meinem Versteck hinter dem Puppenhaus, voller Angst, von der Lehrerin entdeckt zu werden, im Wissen, dass genau das unvermeidlich war und ich mich innerlich darauf vorbereiten musste – das ist eine Erinnerung.
    Daraus gemacht habe ich folgende Geschichte: An meinem ersten Schultag war ich wütend auf meine Mutter, weil sie mich an einem unbekannten Ort mit fremden Leuten alleinließ. Weglaufen war keine Option, denn ich war ein braves Mädchen – das versicherten mir meine Eltern ständig. Aber diesmal hatte ich so starke Einwände gegen das, was mir da zugemutet wurde, dass ich beschloss zu protestieren, indem ich mich so weit wie möglich dem Geschehen entzog. In einer Ecke des Klassenzimmers stand ein großes Puppenhaus, und als keiner hinsah, schob ich mich zwischen das Puppenhaus und die Wand. Ich weiß nicht, wie lange ich in meinem Versteck hockte und zuhörte, wie meine Klassenkameraden unerfreulichen Krach veranstalteten und die Klassenlehrerin versuchte, Ordnung herzustellen – aber es war lange genug, um mich allmählich unbehaglich zu fühlen. Ich bereute, dass ich mich versteckt hatte, aber wenn ich jetzt plötzlich wieder auftauchte, würde das einem Geständnis gleichkommen, und so etwas Unüberlegtes wollte ich nicht tun. Ich wusste, irgendwann würde ich entdeckt und streng bestraft werden, und meine Nervosität und Angst wuchsen. Ich weinte, so leise, dass mich keiner hören konnte. Gleichzeitig dachte ein Teil von mir: »Sag nichts, rühr dich nicht von der Stelle – vielleicht kommst du ja doch damit durch.«
    Als ich hörte, wie Mrs Hill die Schüler aufforderte, sich im Schneidersitz auf den Teppich zu setzen, um die Anwesenheit zu überprüfen, geriet ich in Panik. Obwohl ich noch nie in der Schule und auch nicht im Kindergarten gewesen war, ahnte ich, was das bedeutete. Sie würde unsere Namen aufrufen, einen nach dem anderen. Wenn ich meinen Namen hören würde, musste ich mich melden. Wo auch immer ich mich befand, ich würde »Hier, Mrs Hill« sagen müssen. Der Gedanke, einfach nichts zu sagen, kam mir gar nicht, denn ein solches Ausmaß an Täuschung und Rebellion konnte ich mir noch nicht einmal vorstellen, geschweige denn in die Tat umsetzen. Trotzdem rührte ich mich nicht in meinem Versteck. Ich bin immer schon eine Optimistin gewesen, und so war ich nicht gewillt aufzugeben, bevor es unbedingt sein musste. Es könnte schließlich noch irgendetwas passieren, das die Klassenlehrerin davon abhalten würde, die Anwesenheit festzustellen, dachte ich. Vielleicht fliegt ja ein Vogel durchs Fenster herein, oder einer meiner Klassenkameraden erkrankt plötzlich und muss sofort ins Krankenhaus gebracht werden. Oder mir würde in den letzten drei Sekunden irgendein brillanter Einfall kommen – irgendein Ausweg aus dem Schlamassel, in den ich mich da manövriert hatte.
    Natürlich geschah nichts von alledem, und als die Klassenlehrerin meinen Namen aufrief, entschloss ich mich zu einem Kompromiss. Ich sagte nichts, aber hob die Hand, sodass sie über dem Puppenhaus deutlich zu sehen war. Ich habe meine Pflicht erfüllt, dachte ich – ich melde mich. Aber es bestand ja immer noch die Möglichkeit, dass ich wundersamerweise nicht entdeckt werden würde und als Belohnung für mein Pflichtbewusstsein den ganzen Tag nicht am Unterricht teilnehmen musste. Und dann konnte ich das Ganze am nächsten Tag noch einmal wiederholen. So weit meine Phantasie. Natürlich bemerkte Mrs Hill meinen hochgestreckten Arm sofort und verlangte, dass ich hinter dem Puppenhaus hervorkam. Nach dem Unterricht berichtete sie meiner Mutter, was ich getan hatte, und ich wurde bestraft, in der Schule und auch von meinen Eltern. Wie genau, daran erinnere ich mich nicht mehr.
    Was ist wahr an dieser Geschichte? Das meiste, würde ich vermuten. Wahrscheinlich neunzig Prozent. An wie vieles davon erinnere ich mich noch? An kaum etwas. Eigentlich nur an zwei intensive Gefühle, an die Mischung aus Angst und Trotz, die ich empfand, als ich hinter dem Puppenhaus hockte, und an die schreckliche Demütigung, die es für mich bedeutete, herauskommen und mich der Klasse stellen zu müssen. Jeder wusste, dass ich ein Risiko eingegangen war, dann aber die Nerven verloren und mich selbst aufgegeben hatte. Ich spüre noch, wie sehr die Erinnerung daran mich beschämte, bereits Sekunden

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