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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
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Und eines Tages werden unsere Kinder und Enkel unsere Arbeit hier weitermachen!«
    Tosender Applaus.
    In diesem Augenblick öffnete sich die Tür. Von draußen kam Jens Kriegstein herein, der Postbote.
    Augenblicklich herrschte Ruhe. Alle waren verblüfft. Natürlich kannte Kriegstein hier jedermann.
    Der Mann war sechzig, wirkte aber zehn Jahre älter. Seine Gestalt war athletisch, aber sein enormer Bauchumfang konterkarierte diesen Eindruck. Kriegstein war Opfer seines Berufes: Da er die Post hauptsächlich zu den Bauernhöfen austrug – und zwar zu Fuß – war er es gewohnt, zwischendurch zu tanken, damit er genügend Sprit intus hatte, um den jeweils nächsten Hof zu erreichen.
    So manches Gläschen Wippermann oder Selbstgebrannter wartete bereits auf ihn – ob er nun einen Brief dabeihatte oder nicht. Jens Kriegstein war eine Lipper Institution.
    Und niemand, wirklich niemand, konnte sich erinnern, dass er zu dieser abendlichen Stunde jemals im Dienst gewesen wäre. Denn nüchtern war er bereits um Mittag herum nicht mehr.
    Nüchtern war er auch jetzt nicht. Aber er trug seine Uniform. Und das hatte etwas zu bedeuten.
    Er schaute sich um, erspähte schließlich Ollie und trat gewichtig zu ihm hin.
    »Herr Dickens?«
    Ollie warf mir einen fragenden Blick zu. Ich zuckte mit den Schultern.
    »Herr Oliver Dylan Dickens?«
    Ollie nickte.
    »Ich habe einen elektronischen Brief für Sie«, erklärte Kriegstein. Man merkte seiner Zunge an, dass er sich nicht mehr ganz so unter Kontrolle hatte wie am Morgen.
    Er ließ sich den Empfang von Ollie quittieren.
    »Setzen Sie sich doch und feiern Sie ein wenig mit uns«, lud die Gräfin ihn ein. Kriegstein ließ sich das nicht zweimal sagen und verließ die Bühne.
    Ollie riss den Brief auf. Es schien ihm nichts auszumachen, dass er dabei von mindestens fünfzig Augenpaaren neugierig angestarrt wurde.
    Er las und las ... Seine Lippen bewegten sich dabei. Er wurde sichtlich blass. Schließlich ließ er das Blatt sinken. Bevor es ihm aus der Hand fallen konnte, hatte ich es ihm entrissen. Ich las den Brief ebenfalls, bevor ich schließlich erneut zum Sprechen anhob: »Leider enthält der Brief keine guten Nachrichten.« Ich hoffte, dass ich genauso überzeugend rüberkam wie zuvor Ollie. Ich fixierte Krautkrüger, während ich mit unsicher klingender Stimme fortfuhr: »Ich muss meine Worte von vorhin revidieren: BT NATURE zieht das Angebot zurück!«
    Krautkrüger sprang auf. »Herr Dickens, auf ein Wort!«
    Ollie schaute aus wie das sprichwörtliche Häufchen Elend.
    »Unter diesen Umständen kann ich Ihnen den zugesagten Kredit auf keinen Fall geben. Ich ...«
    Ein Tumult brach aus. Einige der Bauern hatten bis soeben wahrscheinlich selbst noch auf ein lukratives Geschäft mit BT NATURE gehofft.
    Die andere – die größere – Fraktion applaudierte begeistert »Rübe ab! Rübe ab!« Damit war wohl die Gen-Lobby gemeint.
    Gemeinsam mit der Gräfin gelang es mir nur halbwegs, so etwas wie Ruhe herzustellen. »Herr Krautkrüger«, wandte ich mich zunächst an den Sparkassen-Direktor. »Das ist kein sehr feiner Ton, in der Öffentlichkeit über Kredite zu reden. Wir sollten das besser woanders besprechen.« Und an die Gäste gewandt: »Es folgt der zweite Gang. Bitte setzten Sie sich doch wieder! Voilà: Rosenkohl-Steckrüben-Salat mit Schillerlocken und Wasabi-Zabaione. Guten Appetit!«
    Ich sah mich um. Das Chaos hielt sich in Grenzen. Die drei Verdächtigen verharrten an ihren Tischen, das war das Wichtigste. Ein paar Grüppchen standen zusammen und diskutierten erregt. Die Landfrauen brachten die Speisen herein. Es wurde ruhiger.
    Mein Blick fiel auf Maren. Sie saß noch immer allein an ihrem Tisch. Ich ging zu ihr und setzte mich.
    »Also, das ist schon ganz großes Kino, was ihr heute Abend hier bietet«, sagte sie.
    »Inwiefern?« Einen Augenblick lang befürchtete ich, unsere Schauspielerei wäre zu offensichtlich gewesen.
    »Na, ich meine vom Unterhaltungswert.«
    »So unterhaltsam ist das leider nicht«, sagte ich. Dabei hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass ich ihr nicht reinen Wein einschenken konnte. Das würde ich nachholen – wenn alles vorbei war. »Zumindest nicht für Ollie. Er hat auf das Geld gezählt.«
    »Was hat er jetzt vor? Ehrlich gesagt, ich war in letzter Zeit zu beschäftigt, um mich mit den neuesten Gerüchten über BT NATURE zu befassen.«
    Ich zuckte die Schultern. »Wie ich Ollie kenne, wird er versuchen, sich mit weniger Geld aus der Sache

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