Blut und Rüben
Einlage.«
Ich kredenzte sie ihm.
»Sieht aus wie ein Kopf, was?« Damit lehnte ich mich wirklich weit aus dem Fenster.
»Ein was? Ein Kopf? Na, wenn Sie meinen.« Er schien nach wie vor verwirrt. Er schob den Teller weg.
Ich war bereits wieder auf dem Weg in die Küche.
Rolf rotierte, um die Hauptspeise pünktlich fertigzubekommen. Ich wagte nicht, ihn anzusprechen, und hielt mich lieber im Hintergrund.
Ich wünschte, ich hätte irgendein Laster, womit ich meine Nervosität hätte bekämpfen können. Nägelkauen zum Beispiel. Oder den kleinen Schluck aus dem Flachmann. Oder wenigstens Rauchen.
Ich hatte nichts von alledem.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Es war Ollie. Er hielt mir eine Bierflasche hin. Ich wollte erst ablehnen, aber dann griff ich zu. Der kühle Schluck tat gut.
»Ich muss die ganze Zeit an Steffi denken«, bekannte er. »Ich halte das nicht mehr lange hier durch.«
»Wir müssen«, sagte ich. Ich legte ihm den Arm um die Schulter. »Norbert wird schon was herausfinden. Vielleicht hat er Steffi und Luna ja bereits befreit.«
» By Jove, das wäre zu schön.«
Dann fiel mir etwas ein, was ich schon länger auf dem Herzen hatte. »Wollen wir uns nicht duzen? Immerhin haben wir jetzt ein gemeinsames Ziel.«
»Ich habe es nicht vorzuschlagen gewagt«, erwiderte er.
Wir gaben uns die Hand.
»Einer für alle«, sagte er.
»Alle für Steffi und Luna«, sagte ich.
Dann warteten wir. Aber Norbert rief einfach nicht an.
Es war mein Plan gewesen, die drei Verdächtigen hier zu bewirten. Während sie hier waren, konnten sie nicht zu Hause sein. Oder auf ihren Höfen. Zeitgleich waren drei Spezialkommandos unterwegs, um sich bei Armin und den beiden Wattenbergs umzuschauen. Norbert führte eines der Kommandos an. Ich wusste nicht, welches, aber ich konnte nur die Daumen drücken, dass er fündig wurde. Sie hatten nur ein knappes Zeitfenster zur Verfügung. Sobald einer der Verdächtigen ging, musste die Aktion abgebrochen werden.
Das zweite Problem war, dass keiner der drei hinterher etwas merken durfte – für den Fall, dass man nichts entdeckte.
Die halbe Stunde zwischen Vorspeise und Hauptgericht schien mir eine Ewigkeit zu dauern. Ich pendelte mehrmals zwischen Küche und Gastraum hin und her, hypernervös und nicht gerade eine Hilfe für die anderen. Immer wieder warf ich einen verstohlenen Blick auf mein Handy, weil ich Norberts befreienden Anruf erwartete.
Wattenberg schien immer noch mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Er war bestimmt der Erste, der irgendwann aufbrach. Aber auch Armin machte einen angestrengten Eindruck. Er starrte versunken vor sich hin. Wattenberg junior wirkte angriffslustig. Er trank ein Bier nach dem anderen. Mehrmals sah ich, wie er etwas zu Armin sagte, aber dieser antwortete kaum.
»Info aus der Küche«, raunte mir Ollie ins Ohr. »Hauptspeise wird in fünf Minuten serviert.«
Ich nickte und bat erneut um Ruhe.
»Ich hoffe, es hat Ihnen und euch geschmeckt«, begann ich.
Zustimmendes Gemurmel.
»Die Hauptspeise folgt sogleich. Zuvor aber möchte ich den Abend nutzen, um euch etwas zu verkünden ...« Ich wartete, bis die Gräfin und Ollie wieder an meiner Seite waren. »In unserem schönen Lipperland ist es in den letzten Monaten alles andere als friedlich zugegangen. Ihr wisst schon: Der geplante Genrüben-Anbau, das ganze Pro und Contra ...«
Ich riss mich zusammen, damit der folgende Teil meiner Rede möglichst glaubwürdig rüberkam. »Herr Dickens hat sich nach reiflicher Überlegung entschlossen, das ihm vorliegende Angebot von BT NATURE anzunehmen ...«
Grelle Pfiffe. Applaus von einigen wenigen.
»Der Verkauf umfasst das Rübezahl und sämtliche angeschlossenen Ländereien, auch die, die zurzeit verpachtet sind.«
Ich ließ meine Worte wirken. Armin wirkte unbeteiligt. Wattenberg junior schaute triumphierend in meine Richtung. Der Senior schien aus seiner Trance erwacht zu sein. Er biss sich auf die Lippen.
Ich bat um Ruhe. Es dauerte eine Weile, bis auch der Letzte schwieg.
»Erst durch den Verkauf der Ländereien an BT NATURE, die einen doppelten Bodenpreis zahlen als üblich, wird es uns möglich, das Rübezahl fortzuführen. BT NATURE hat uns zugesichert, dass wir das Restaurant auch nach dem Verkauf hier weiterführen können.«
Spärlicher Applaus.
»Verräter!«, rief jemand. »Das tut ihr doch nur, damit ihr eure Ärsche irgendwo, wo es schön warm ist, in die Sonne halten könnt! Wir haben unsere Familien hier!
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