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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
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schrecklich!«
    Sie trug über ihrem Nachtgepolter nach wie vor einen Schlafrock und wirkte ein wenig gespenstisch. Ihr Gesicht war weiß, allerdings wohl nicht vor Schreck, sondern weil es vom Vorabend immer noch nicht abgeschminkt worden war. Die Gräfin besaß mehr Tiegel, Cremedosen und Tuben gegen Falten und sonstige Spuren des Alters als irgendjemand sonst, den ich kannte. Nicht dass es etwas helfen würde. Die Jahre hatten sich in ihr Gesicht gezeichnet wie tiefe Kraterrisse.
    Wie alt sie wirklich war, verriet sie keinem. Manchmal verglich ich sie insgeheim mit der unvergessenen Agnes Windeck. Die war in den von mir heißgeliebten Edgar Wallace-Streifen schon an die siebzig gewesen. Die Gräfin war jünger.
    Und eigentlich war sie gar keine richtige Gräfin. Die Gräfin war noch nicht einmal eine von und zu. Ihr Name war Lisa Maier. In der Schule wurde sie nur Lieschen genannt. Nicht Lieschen Müller, nein, Lieschen Maier. Der permanente Mangel an Respekt, was ihren Namen betraf, muss sie in ihrer zur Schau getragenen Rolle als Tochter aus bestem Hause bestärkt haben. Mit zehn Jahren, so hatte mir eine ihrer Freundinnen aus dem Landfrauenclub verraten, ließ sie sich nur Elisabeth nennen – nicht nach Elisabeth II., die da noch gar nicht den Thron bestiegen hatte, sondern nach Elisabeth I., auch »die jungfräuliche Königin« genannt. Jeder, der die Gräfin fortan Lieschen nannte, bekam eine blutige Nase verpasst. So weit die Historie.
    Alle, bis auf Duffy, nannten sie allerdings nur: die Gräfin. Sie hatte eine derart aristokratische – manche behaupteten: herrschaftliche, noch bösere Zungen: herrische – Art, dass sie quasi den Archetyp dieses Titels darstellte. Und wer, so fragte ich mich immer wieder, hielt sich in diesen Zeiten noch einen Butler? Wenngleich Duffy eher der Butler des Majors gewesen und stillschweigend in ihre Dienste übergewechselt war.
    Es hieß, dass sie und der Major in jüngeren Jahren eine leidenschaftliche Liaison gehabt hätten, deren Feuer jedoch schneller erlosch, als es entflammt war. Man munkelte, dies hätte mit einigen esoterisch anmutenden Gepflogenheiten des Majors zu tun gehabt. So glaubte er – typisch britisch – bis ins hohe Alter an Ufos. Er war überzeugt, dass sämtliche Regierungen dieser Welt von Außerirdischen unterwandert seien. Sich selbst sah er als höchst gefährdetes potenzielles Kidnapping-Opfer. Aus diesem Grunde pflegte er, bevor er sich zu Bett begab, bestimmte Rituale abzuhalten. Niemals gelangten Einzelheiten darüber nach draußen. Doch die Gräfin schien bereits in der ersten Nacht darüber derart entsetzt zu sein, dass sie damals die Konsequenzen zog und sich jeglichen körperlichen Kontakten mit dem Major fortan verweigerte. Zu seinem großen Kummer. Es wird das Zitat überliefert:
    »Wenn Sie mein Liebhaber wären, würde ich Ihren Tee vergiften!«
    »Wenn Sie meine Frau werden«, antwortete der Major, »würde ich ihn trinken.«
    Die beiden wurden niemals ein Paar, aber zumindest konnte der Major die Gräfin erweichen, als eine Art Hausvorsteherin mit ihm unter einem Dach zu leben.
    Das Ganze war dreißig Jahre her.
    Insofern war Ollie auch nicht wirklich mit ihr verwandt. Und dennoch gehörte sie zur Familie.
    Duffy buckelte besorgt an ihrer Seite, ließ sie nicht aus den Augen und schien jeden Moment damit zu rechnen, dass sie einen Herzanfall bekam. Vor lauter Sorge vergaß er einmal mehr, dass er ein Kaugummi im Mund hatte. Er kaute wie besessen, sodass ich schon fürchtete, er würde im nächsten Moment eine Blase erzeugen.
    Die Gräfin warf ihm einen missbilligenden Blick zu. Ich wusste, wie sehr sie sein Laster hasste. Aber jetzt war wohl nicht der richtige Zeitpunkt, ihn zu tadeln.
    »Es ist ein Mord passiert!«
    Ich war bei ihr angekommen, und sie sank mir in die Arme. »Eine fürchterliche, entsetzliche Tat.«
    »Woher wissen Sie das?«, fragte ich vorsichtig und ließ sie wieder los.
    »Ihr Vetter Armin hat angerufen«, erwiderte sie mit erstaunlich gefasster Stimme. »Er wollte Sie sprechen. Sein Freund ist doch seit einigen Tagen verschwunden, und er glaubt, dass man ihn jetzt gefunden hat.«
    Sie schniefte. Duffy reichte ihr ein blütenweißes Taschentuch, das er vorsorglich immer bei sich trug. »Sie hätten es im Radio durchgegeben«, fuhr sie fort. Dann sah sie mich mit festem Blick an. »Sie kennen sich doch aus mit Mördern. Außerdem ist der Ludwig doch der Freund Ihres Vetters. Sie müssen sich sofort vergewissern

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