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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
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gehen!«
    Das klang wie ein Befehl.
    »Die Polizei wird sich schon darum kümmern«, versuchte ich sie zu beruhigen.
    Zum Glück kündigte sich plötzlich mit ohrenbetäubendem Lärm die Landung eines Düsenjägers an. Es handelte sich um Ollie.
    Der Morgan bremste nur wenige Zentimeter vor unseren Füßen. Das Motorengeräusch endete in mehren explosionsartigen Eruptionen. Dann endlich kehrte Ruhe ein.
    Heraus sprang ein putzmunterer Oliver Dylan Dickens.
    »Tante Liza!«, rief er erfreut.
    Dafür, dass er sie noch niemals im Leben gesehen hatte und sie in Wirklichkeit auch nicht seine Tante war, hätte man sich solch eine Begrüßung herzlicher nicht vorstellen können. Abgesehen von dem kleinen Schönheitsfehler, dass er sie nicht Lisa, sondern Liza nannte. Aber das war ihm anscheinend verziehen.
    Die Gräfin stand mit offenem Mund da und begriff offenbar erst einmal gar nichts. Dann jedoch wandelte sich ihre Miene. Ein glückseliger Ausdruck zog über ihr Gesicht. Sie schien weit entrückt. In diesem Zustand hatte ich sie noch nie gesehen.
    »Es ist der Herr Dickens! Mein Herr Dickens!«, rief sie schließlich verzückt.
    »Nennen Sie mich Ollie, Tante Liza!«
    Ich hatte das ungute Gefühl, dass die Wiedersehensfreude bald getrübt werden würde.
    Ich konnte noch nicht einmal sagen, warum.
    Aber meine Ahnung sollte sich schneller bestätigen, als mir lieb war.

3.
    Mein Vetter Armin Novotzki war Öko-Bauer. Gemeinsam mit seinem Kumpel Ludwig hatte er hier in Lippe vor zwanzig Jahren eine Art spätkapitalistische Hippie-Kommune gegründet. Anfang der Neunzigerjahre waren Themen wie Ökologie, Landkommunen und freie Liebe selbst in Berlin derart out gewesen, dass die beiden überzeugt waren, allein in Lippe ihren Traum von Freiheit und Selbstverwirklichung wahr werden lassen zu können. Mit nichts als ihren Musikinstrumenten, zwei Groupies und einem Koffer voller Stoff gelangten sie bis nach Berlebeck.
    Ein alter Einsiedler namens Bietenstüvel hatte Mitleid mit ihnen, als sie völlig durchnässt und halb verhungert bei ihm anklopften und um Obdach baten. Er ließ sie herein, teilte den Steckrübeneintopf mit ihnen und bot ihnen ein Dach über dem Kopf an.
    Die beiden Auswanderer waren gerührt ob solcher Mildtätigkeit und ließen sich häuslich nieder. Zumal dem einen, Ludwig, in einer Vision, wie er später behauptete, Hermann der Cherusker leibhaftig erschienen war und ihn zu seiner Entscheidung beglückwünschte. Und immerhin hieß ja einer der beiden Neuankömmlinge Armin. Aus dem lateinischen Arminius, der die Römer besiegt hatte, war im Laufe der Jahrhunderte aus unerfindlichen Gründen ein deutscher Hermann geworden
    Leider hatten sich die beiden Aussiedler zuvor nicht allzu kundig gemacht, was gewisse Eigenschaften der lippischen Eingeborenen betraf. Eine davon ist die konsequente Verfolgung eines Prinzips, das die Auswärtigen in Unkenntnis der Sachlage als Geiz bezeichnen. Der Lipper spricht von Sparsamkeit. Seit Generationen ist er dazu erzogen worden. So ist der Lipper zwar durchaus gastfreundlich, erwartet aber dafür einen Obolus.
    Weder Armin noch Ludwig hatten damals auch nur einen Pfennig in der Tasche. Beide waren sie klamm wie Scheunenmäuse. Für Cannabis war der alte Bietenstüvel nicht mehr zu haben. Mit der Idee, dass die beiden Groupies, Ingrid und Petra, quasi in die Bresche springen würden, konnte sich Bietenstüvel indes zunächst anfreunden. Es muss meinem Vetter und auch Ludwig zugutegehalten werden, dass die Groupies sich aus freien Stücken opferten, wenngleich Armin sie zuvor rhetorisch in den Schwitzkasten genommen hatte: Freie Liebe, das hieße eben auch, mal über die eigenen Befindlichkeiten hinwegzusehen, sämtliche spießbürgerlichen Ansichten eines sowieso schwer zu definierenden Schönheitsideals über Bord zu werfen und die eigenen Grenzen zu erforschen.
    Die beiden Damen waren also gebrieft, Bietenstüvel selbst war, wie gesagt, nicht abgeneigt, sich auf den Naturaliendeal einzulassen. An besagtem Abend wartete er, zu allem bereit, in seinem Bett – nur angetan mit einer Schlafmütze, ohne die er sich nackt vorgekommen wäre. Er trug sie winters wie sommers, denn das Schlafzimmer wurde selbstverständlich niemals geheizt. Sogar im Sommer war es kühl wie in einer Kältekammer, da die hintere Wand direkt in den Berg hineingebaut worden war.
    Ingrid und Petra hatten sich indes mit etwas Cannabis in Stimmung gebracht. Nur unter diesen Umständen ist das Folgende

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