Blut und Rüben
als ich zugeben wollte. Auch wenn er vielleicht nur jemanden suchte, mit dem er das Schweigen teilen konnte.
Das Innere des Hauses, das einst Bietenstüvel gehörte, hatte sich in den letzten zwanzig Jahren nicht verändert. Die beiden selbst ernannten Nachfolger hatten damals im Sinne echten Hippietums sämtliches Mobiliar übernommen und einfach bunt angepinselt. Es roch nach geräuchertem Schinken und Kräutern.
Wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie irgendwann ausgezogen waren, ich hätte mich nicht gewundert, wenn Ingrid und Petra plötzlich aus irgendeiner Ecke hervorgetreten wären.
Sogar Armins Eierwärmer-Sammlung war noch da. Er hatte sie selbst gehäkelt. Damals, in den späten Siebzigern war es gang und gäbe, dass Männer zum Strickzeug oder Häkelzeug gegriffen haben. Ich hatte Armin nie häkeln sehen. Und doch waren im Laufe der Zeit weitere gehäkelte Eierwärmer dazugekommen. Zum Glück war er nie auf die Idee gekommen, mir welche zum Geburtstag oder zu Weihnachten zu schenken!
Armin bat mich, Platz zu nehmen, indem er wortlos auf eine verflohte Couch wies.
»Was ist eigentlich aus den beiden geworden?«, fragte ich, noch immer in Gedanken bei den beiden Exgroupies.
»Häh?« Mein Gegenüber sah mich begriffsstutzig an.
»Ingrid und Petra?«
»Hast du sie getroffen?«
»Nein, aber an sie gedacht.«
»Ach so. Die sind in Berlin.«
Bedeutungsschwangere Pause.
»Tee?«
»Gern.«
Umständlich füllte er einen Kessel mit Wasser und setzte ihn auf den altertümlichen Ofen. Es gab keine Heizung, keinen Elektro- oder Gasherd. Hier war die Zeit stehen geblieben. Winters wie sommers bildete der riesige Kohleofen die einzige Wärmequelle.
Während er einige Teelöffel mit Kräutern abzählte, sagte er: »Ingrid hat einen Fußballer geheiratet. Arminia Bielefeld. Wurde später eine große Nummer.«
Während ich mich noch fragte, ob er Ingrid oder den Fußballer meinte, fuhr er fort: »In der Nationalmannschaft.«
»Also die typische Spielerfrau. Komisch, ich kenne sie ja nur vom Hörensagen, habe sie mir aber tatsächlich immer blond vorgestellt.«
»Sie war rothaarig. Petra war blond. Zumindest, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht.« Anscheinend taute er auf. Er rang sich sogar ein kleines Lächeln ab. »Tja, das waren Zeiten damals. Als ich und Ludwig mit den Underdogs die Berliner Kneipen unsicher machten und die Leute nach unseren Songs auf die Barrikaden gingen.«
Ich kannte die alten Geschichten auswendig. Schlimmer wurde es, wenn auch noch Ludwig dabei war, die beiden eine Flasche Wippermann geleert hatten und sie zu ihren Instrumenten griffen. Spätestens dann setzte ich jedes Mal zur Flucht an.
Während Armin sich schweigend auf die Teezubereitung konzentrierte, kam mir plötzlich ein Gedanke.
»Kann es sein, dass Ludwigs Verschwinden mit seiner Vergangenheit zusammenhängt?«
Armin dachte nach. Das konnte lange bei ihm dauern. Manchmal sogar unendlich lange. So unendlich lange, dass man die Frage schon wieder vergessen hatte.
Armin hantierte mit dem Teegeschirr. Er tat es geschickt. Seine Hände zitterten kaum. Normalerweise zitterten sie gar nicht.
»Wie meinst du das?«, fragte er nach einer gefühlten Ewigkeit.
»Na ja, du hast es selbst gerade erzählt. Ihr habt euch damals am äußersten Rand der linken Szene bewegt. Könnte es da nicht sein, dass irgendein rechter Hitzkopf auf eure Vergangenheit gestoßen ist und seinen politischen Eifer an Ludwig auslässt?«
Diesmal zitterte er heftiger. So heftig, dass der Tee in der Tasse überschwappte und er sich die Finger verbrühte.
Anscheinend hatte ich buchstäblich ins Schwarze getroffen.
Armin wandte sich um, ohne ein Wort zu sagen, und ging hinaus. Geduldig wartete ich auf ihn. Bei Armin wusste man nie, wie lange etwas dauerte. Ein paar Sekunden? Ein paar Minuten? Eine Stunde? Manchmal verging eine Ewigkeit, bis er sich gefunden oder eine Sache erledigt hatte. Oder bis er eine Antwort gab.
Ich ließ unterdessen meine Gedanken schweifen und erinnerte mich, dass Armin und Ludwig mich einmal am Straßenrand aufgelesen hatten, weil mein Volvo liegen geblieben war. Mir war das Benzin ausgegangen. Die beiden versprachen, an der nächsten Tanke neuen Sprit zu besorgen und mir zu bringen. Sie hatten nicht gesagt, wann sie wiederkommen würden.
An jenem Tag jedenfalls kamen sie nicht mehr.
Ich hatte einige Stunden gewartet, bevor mich ein freundlicher Lkw-Fahrer mit Nachschub für meinen Diesel versorgte. Später erfuhr
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