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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
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nachzuvollziehen:
    Trotz ihrer vereinten Bemühungen verlief die Sache zunächst schlapp. Bietenstüvel litt an einer Durchblutungsstörung, die man später, als die Geschichte im ganzen Kreis bekannt wurde, Berlebecker Hänger nannte. Man muss Bietenstüvel jedoch zugutehalten, dass er damals die achtzig schon überschritten hatte. Ingrid und Petra sahen sich in ihrer Ehre herausgefordert. Die eine, Ingrid, hatte angeblich Anfang der Siebziger bereits eine Affäre mit dem Sänger der Band Ton, Steine, Scherben gehabt – und der war bekanntlich eher dem eigenen Geschlecht zugeneigt gewesen.
    Wie dem auch sei, der Hänger blieb, wo er war, horizontal.
    Es war später nicht mehr festzustellen, welche der Damen auf die Idee kam, aus der Not- zumindest eine Schieflage zu machen, indem sie dem alten Burschen ein paar Ecstasy-Pillen verabreichte. Die waren schon damals zwar nicht mehr in der Erprobungsphase, aber da sich das deutsche Betäubungsmittelgesetz auch heute noch im Wesentlichen auf chemische Inhaltsstoffe von Rauschmitteln bezieht, war damals vieles im Umlauf, was noch halbwegs legal war, wenn es nur genügend unbekannte Kräuter enthielt.
    Ich habe nie das Bedürfnis verspürt, mich der schlafentzugshemmenden Wirkung dieser Droge zu vergewissern, doch man sagt ihr eine Wirkdauer von fünf bis sechs Stunden nach.
    Bietenstüvel schluckte nicht eine Pille. Sondern drei. Zum Glück nicht alle auf einmal, sondern hintereinander. Er selbst behauptete später, geflogen und zwei Engeln begegnet zu sein. Die hätten ihm das Paradies gezeigt.
    Jedenfalls, so richtig erholt hat er sich nie mehr davon. Nach Beendigung der Flugstunde setzte seine Atmung aus. Der von Ingrid und Petra rasch herbeigerufene Arzt war zwar in erster Linie Tierarzt, konnte aber einen Schlaganfall als solchen erkennen und behandeln.
    Bietenstüvel war von da an auf einen Rollstuhl angewiesen. Sein Körper war nicht mehr in der Lage, die harte Feldarbeit zu erledigen. Also schlugen Ludwig und mein Vetter ihm vor, diese für ihn zu übernehmen. Außerdem versprachen sie, ihn bis zu seinem – hoffentlich noch in recht ferner Zukunft liegenden – Ende zu pflegen, zu hegen und ihn zu umsorgen. Sie verlangten nicht viel dafür: nur dass er ihnen im Falle seines Todes das Anwesen überschrieb.
    Bietenstüvel hatte zwar keine Erben, aber ich vermute, er ließ sich auf diesen Deal nur ein, weil nicht nur sein Körper, sondern auch sein Geist seitdem gelitten hatte.
    Die Sache wurde nie aktenkundig, sprach sich aber, wie gesagt, herum, sodass die Kommune rasch Zulauf von experimentierfreudigen Anhängern der freien Liebe erhielt.
    Meine Gedanken konzentrierten sich wieder auf die Gegenwart. Als ich den Hof erreichte, schallte mir das Geheul einer Horde Wölfe entgegen. Aber es waren keine Wölfe.
    Ich traf Armin dabei an, wie er die Meute fütterte. Auf dem ganzen Bio-Hof wurde kein einziges Nutztier gehalten, noch nicht einmal ein Kater. Dafür war Armins und Ludwigs Hobby das Züchten von Schlittenhunden. Es war ein seltsamer, aber dennoch inzwischen gewohnter Anblick, wenn einer der beiden sein Schlittengespann durch die lippischen Auen lenkte – vor allen Dingen im Sommer, wenn sie statt der Kufen Räder unter den Schlitten montiert hatten.
    Armin warf die letzten Fleischbrocken in den Zwinger, bevor er langsam in meine Richtung gestiefelt kam. Er war inzwischen Mitte fünfzig, aber immer noch drahtig und schlank. Der beige, leinene Arbeitsanzug schlotterte um seinen Körper. Sein hellblondes Haar trug er zu einem Pferdeschwanz gebändigt. Sein wettergegerbtes Gesicht erinnerte an einen weisen Adler.
    »Und?«, fragte er. Kurz und knapp, wie es seine Art war.
    »Ich glaube, er ist es. War nicht genau zu erkennen. Man hat nur den Kopf gefunden. Hier gibt’s eine Menge Raubvögel.«
    »Verstehe.«
    Er griff in seine Brusttasche und holte einen Tabakbeutel hervor. Routiniert und ohne einmal hinzusehen, drehte er sich eine Zigarette.
    »Entweder finden sie den Körper oder – es gibt heute so einige Methoden, einen Toten zu identifizieren.«
    »Die Zähne. Meistens erkennt man sie an den Zähnen.«
    Dann schwieg er eine Weile. Ich ließ ihm Zeit, den Tod seines Freundes zu verarbeiten. Armin schien seine Gedanken auf eine lange Reise zu schicken – einmal rund ums Universum.
    »Lass uns ins Haus gehen«, sagte er schließlich. Er drehte sich um und schritt voran. Ich konnte ihm folgen oder es sein lassen.
    Doch sein Schweigen machte mich neugieriger,

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