Blut und Silber
Marsilius verbannt wurde. Er war ein aufrechter Kämpfer und hat sein Leben in Lucka auch für euch hier geopfert. Sein Mut und der seiner Witwe sind über jeden Zweifel erhaben.«
Erstauntes Gemurmel kam auf. Die Nachricht vom Tod des Arztes hatte sich noch nicht bis in die Stadt herumgesprochen.
»Gute Ratsherren und einen klugen Bürgermeister müsst ihr euch selbst wählen. Ein gerechter Herrscher will ich euch sein. Und ich ernenne hiermit einen Burgkommandanten aus euren eigenen Reihen: Markus, den früheren Hauptmann der Wache, einen tapferen und erfahrenen Kämpfer. Seine Männer, kampferprobt und aus dieser Stadt, sollen euch fortan wieder schützen.«
Ein paar Begeisterte – allen voran Christian – stimmten Hochrufe für den neuen Kommandanten an, der das aber kaum wahrnahm, weil er Ausschau nach Änne hielt. Die starrte ihn entgeistert an, bis sich ihre Überraschung allmählich in Freude verwandelte.
»Die Stadt soll von neuem erblühen«, fuhr Friedrich fort.
»Mancher von euch wird sich fragen, wie. Das Land ist ausgeblutet nach Jahren des Krieges, die Schatztruhen sind leer und die Silberkammer auf Freiheitsstein geplündert. Mancher wird sich fragen, wie Gerechtigkeit aussehen mag in dieser neuen Zeit, die wir heute beginnen. Ich kann Treue nur mit Worten lohnen, nicht mit Silber. Und ich will heute Verrat nicht mit noch mehr Tod strafen. Genug Blut ist geflossen.«
Es war nun so still auf dem Platz, dass man eine Nadel hätte fallen hören.
»Morgen halte ich auf Freiheitsstein Gericht. Jedermann kann vorbringen, was ihm auf dem Herzen liegt, und Klage erheben gegen den, der ihm Schaden zugefügt hat. Ich werde jene bestrafen, die sich am Elend der anderen bereichert haben. Ihre Strafe wird nicht der Tod sein, sondern der Verlust ihres gesamten Vermögens. Dieses Silber soll dazu dienen, die Stadt wieder zum Blühen zu bringen und den Notleidenden zu helfen.«
In den Reihen der Bürger kam an einer Stelle Unruhe angesichts dieser ungewöhnlichen Ankündigung auf. Friedrich sah, wie sich ein dürrer, hochgewachsener Mann in schwarzem Gelehrtengewand davonschleichen wollte. Doch ein paar Leute traten ihm in den Weg.
»Willst wohl rasch dein verstecktes Silber in Sicherheit bringen, Jenzin?«, brüllte eine dicke, alte Magd.
Die Leute um sie herum murrten oder lachten zustimmend. Irgendjemand stellte dem Hageren ein Bein, und er stürzte zu Boden.
»Hochmut kommt stets vor dem Fall«, kommentierte die alte Magd und stemmte belustigt die Hände in die Seiten. »Er
ist
nicht nur eine gottverdammte Ratte, jetzt kriecht er auch noch so!«
Die Menschen um sie herum lachten. Das Gelächter schwoll rasch an und erfasste bald die ganze Menge. Friedrich begriff, dass sich dieser Mensch besonders verhasst gemacht haben musste. Und auf einmal ahnte er, wen er da auf allen vieren im Schmutz knien sah.
Geduldig wartete er, bis das befreiende Lachen allmählich wieder versiegte. Dann rief er: »Mein Quartiermeister sagt, die Vorratskammern auf Freiheitsstein seien gut gefüllt. Also öffnen wir sie und feiern!« Es schien, als ob ganz Freiberg bei diesen Worten juble.
Der Markgraf von Meißen gab seinen Männern das Zeichen, zurück zur Burg zu reiten. Auf dem Weg dorthin winkte er Markus an seine Seite und räusperte sich.
»Wir sollten Pater Clemens noch einmal bemühen.«
Fragend sah Markus ihn an. Als er die nächsten Worte des Markgrafen hörte, konnte er sich trotz der Feierlichkeit des Augenblicks ein Grinsen nicht verkneifen.
»Ein Burgkommandant sollte besser nicht in Sünde mit seiner Liebsten leben, sondern unter dem Segen der Kirche mit ihr vereint sein.«
Auf dem Burghof begannen umgehend die Vorbereitungen für das Fest. Tausend Dinge waren zu erledigen, jeder wollte mit jedem reden, Christian begann schon wieder, Possen zu reißen. Markus hatte den Kern seiner neuen Burgwache rasch rekrutiert. Das waren die Männer, mit denen er in den letzten Jahren gemeinsam gekämpft hatte: Gero und die anderen befreiten Geiseln, Christian, Otto und der junge Paul …
Alle, die von seiner alten Mannschaft noch am Leben waren, und die neu hinzugekommenen Kämpfer, die ihn heute dabei unterstützt hatten, die Burg im Handstreich zu erobern. Doch wo steckte Änne?
Allmählich begann Markus, sich Sorgen zu machen, dass auf der so eilig angesetzten Hochzeit die Braut fehlen würde.
Ob er Christian oder Otto losschicken sollte, um sie zu suchen? Hatte sie etwa heimlich die Stadt verlassen,
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