Blut Von Deinem Blute
hatte sie Glück.
»Ja?«, meldete sie sich ein wenig zu schroff. »Was gibt's?«
»Laura?« Der harsche Ton schien Julia Stegmeier, mit der sie sich ein repräsentatives Büro teilte, zu irritieren. »Alles in Ordnung bei dir?«
»Klar.«
»Du klingst so merkwürdig. Bist du krank?«
»Ach was, ich habe nur Kopfschmerzen.« Am anderen Ende der Leitung machte sich eine erwartungsvolle Stille breit, und im Geiste sah Laura die Kolleginvor sich, wie sie in ihrem ergonomischen Schwingstuhl lümmelte und mit dem Zeigefinger der freien Hand am Rand ihrer Kaffeetasse entlangfuhr. Kopfschmerzen, so, so. Tja, meine Liebe, das wundert mich nicht. Immerhin hast du ja schon in der ganzen letzten Zeit nicht besonders ausgesehen ...
»Ist irgendwas Dringendes?«, fragte Laura, um das Gespräch ein wenig abzukürzen.
»Sonst würde ich dich ja wohl kaum belästigen, oder?«, gab Julia zurück. »Es ist nur so, dass Ralph mich eben schon wieder wegen dieser Bergmann-Sache angehauen hat. Hast du da zufällig einen kompetenten Ansprechpartner, der mir wegen der Lizenzen weiterhelfen kann?«
»Ja, warte kurz, ich such dir was raus.« Laura schenkte dem Taxifahrer, der fragend zu ihr herübersah, ein entschuldigendes Lächeln, klemmte das Handy zwischen Ohr und Schulter und nestelte ihren Organizer aus der Tasche.
»Ach ja«, plärrte unterdessen Julias Stimme in ihrem Ohr. »Und Leon hat vorhin hier angerufen.«
Sie ließ den Organizer sinken.
»Er schien überrascht zu sein, dass du Urlaub hast.«
»Ich hab's ihm nicht erzählt«, entgegnete Laura, indem sie erfolglos versuchte, ihren Ärger über die geschickte Formulierung zu verbergen. Genau genommen steckten sogar gleich zwei Fragen in der banalen Feststellung ihrer Kollegin: Wie kommt es, dass dein Freund nicht die geringste Ahnung hat, wo du bist? Und: Hast du wirklich Urlaub oder geht es um etwas anderes?
»Ja, aber ...« Wenn Julia Stegmeier entschlossen war, eine Sache durchzuziehen, tat sie es für gewöhnlich ohne Rücksicht auf Verluste. »Ich weiß ja dann gar nicht, was ich sagen soll.«
»Warum sagst du nicht einfach, dass ich nicht zu sprechen bin?«
»Also ganz wie immer, ja?«
Hinterhältige Schlange! »Ja, genau.«
»Und was mache ich, wenn er hier auftaucht?«
»Warum sollte er das?«
»Keine Ahnung. Aber wenn er dich nicht erreicht ...«
»Er wird nicht auftauchen, okay?«, fiel Laura ihr ins Wort.
»Bist du sicher?«
»Wieso?«
»Also, ich finde die Art und Weise, wie er dich im Auge behält, wenn ihr zusammen unterwegs seid, reichlich übertrieben«, antwortete Julia bereitwillig. »Und den besten Freund loszuschicken, um alle Welt über dich und dein Vorleben auszufragen, ist schon ziemlich heftig, oder?«
Laura hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihr weich wurde. Der Asphalt zu ihren Füßen bekam einen grauen Schimmer. Wie Wasser, das sich langsam zurückzog. »Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte sie. »Ich schicke dir die Nummer per Mail.«
Dann unterbrach sie die Verbindung, bevor ihre Kollegin Gelegenheit hatte, noch etwas zu erwidern.
4
Miss Bradley?
Ja?
Ich hätte mich gern kurz mit Ihnen unterhalten ...
Dieser Typ sieht irgendwie sprungbereit aus, obwohl er vollkommen ruhig ist. Und er macht sich erst gar nicht die Mühe, seine Gefährlichkeit hinter einer Maske plumper Jovialität zu verstecken. Bestimmt ist er ein brillanter Analytiker. Einer, der sich in seinem Urteil unter keinen Umständen von irgendwelchen persönlichen Gefühlen leiten lässt. Ich glaube, dieser Mann fühlt überhaupt nichts.
Hatten Sie jemals den Eindruck, dass Ihr Vater Feinde hatte?
Warum fragen Sie das?
Finden Sie die Frage angesichts der Situation nicht naheliegend?
Mein Vater betrachtete alle möglichen Leute als seine Feinde. Das war schon immer so. Ich glaube, es hing mit seiner Herkunft zusammen.
Ihr Großvater, Hans ... (Er sieht den Familiennamen nach) ... von Stetten, stammte aus Deutschland, nicht wahr?
Ja.
Besatzungssoldat? Hm.
Da hat es Ihre Familie gewiss nicht immer leicht gehabt ...
Ich weiß nicht. Ich habe gehört, dass meine Großmutter ziemlich zu kämpfen hatte. Aber sie sollen sich sehr geliebt haben.
Sie meinen Ihre Großeltern?
Bitte? ... Ach so ... Ja.
Warum hieß Ihr Vater eigentlich Bradley und nicht von Stetten, so wie Ihr Großvater?
Meine Großeltern haben erst spät geheiratet. Zu diesem Zeitpunkt war mein Vater schon sechs oder sieben, glaube ich.
Warum haben sie so lange gewartet, wenn sie sich
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