Ausgebremst
AUSGEBREMST
«Wie in einem lächerlichen Drehbuch
lief unveränderlich alles schief.»
Gerhard Berger
Zwölf Jahre lang hatte es keinen Toten in der Formel 1 gegeben. Seit dem Grand Prix von Kanada 1982 in Montreal. Wo der junge Italiener Riccardo Paletti vier Sekunden nach dem Start tödlich verunglückte. Als die Startampel rot leuchtete, heulten die Motoren bestialisch auf. Aber das war nur der Lärm von ein paar Motoren. Nur die altmodischen Saugmotoren der Nachzüglerteams heulten noch so gnadenlos. Die viel stärkeren Turbomotoren säuselten leise. Die tausend PS eines Turbomotors heulten nicht auf, sondern wisperten wie tausend flüsternde Vipern. Als die Ampel von Rot auf Grün sprang, säuselten und wisperten und flüsterten die leisen Turbomotoren ihre Formel-1-Geschosse vom Start, katapultierten sie mit dreihundert Stundenkilometern der ersten Kurve entgegen. Nur in den hinteren Startreihen lärmten noch ein paar Saugmotoren. Aber ein Nachwuchsfahrer hatte keine andere Wahl. Ein Fahrer wie Riccardo Paletti konnte nur das Gaspedal durch den Boden treten und versuchen, sich wenigstens ein paar Runden lang hinter einem der überlegenen Turbofahrzeuge festzukrallen. Eben noch war die Startampel von Rot auf Grün gehüpft. Eben noch hatte der 800-PS-Motor den jungen Italiener Riccardo Paletti dem überlegenen Turbofeld hinterhergeschossen. Eben noch hatte Riccardo Paletti den Kopf eingezogen und das Gaspedal durch den Boden getreten. Und schon war er tot. Denn die überlegenen Turbomotoren wisperten gefährlich. Und die alten Saugmotoren donnerten um so unerschrockener. Aber der Motor des Ferrari von Didier Pironi machte überhaupt kein Geräusch. Der Ferrari-Motor des in der Weltmeisterschaft führenden Didier Pironi war abgestorben. In dem Moment, als die Ampel von Rot auf Grün sprang. Der Ferrari stand wie angewurzelt, und Pironi konnte nichts anderes tun, als hektisch mit den Armen zu winken, um die hinter ihm losjagenden Fahrer zu warnen. Und tatsächlich schafften es alle irgendwie, links und rechts an Didier Pironi vorbeizuschießen. Aber während die überlegenen Turbofahrzeuge schon auf die erste Kurve zuschossen, schoß Riccardo Paletti immer noch mit eingezogenem Kopf und durchgetretenem Gaspedal auf Didier Pironi zu. Nach vier endlosen Sekunden war er endlich aus der hintersten Startreihe dort angekommen, wo der vorderste Startplatz auf dem Asphalt eingezeichnet war. Didier Pironis Ferrari bewegte sich kaum von der Stelle, als Paletti mit zweihundert Stundenkilometern in den abgestorbenen Motor krachte. Niemand gab dem völlig unverletzten Pironi die Schuld am Tod des jungen Italieners. Genauso, wie niemand Derek Warwick die Schuld daran gab, daß sein weggebrochenes Hinterrad Markus Höttinger erschlug. Niemand würde Jochen Mass anklagen, daß er beim Training für den Grand Prix von Belgien rechts Platz machte, als Gilles Villeneuve ihn links überholen wollte. Obwohl Villeneuve dadurch samt Sitzschale aus seinem Ferrari gerissen wurde und wie eine raketengetriebene Testpuppe in den Himmel stieg, wo er mit einem glatten Genickbruch ankam. Aber alle sind sich einig über meine Schuld. Mich verurteilten sie leichten Herzens. Natürlich ist es etwas anderes. Weil ich dem Fahrer das Genick mit meinen bloßen Händen gebrochen habe. Und doch ist niemand schuld daran als er selbst.
1
Jacques Laffites Helm war grün.
Ayrton Sennas Helm war gelb.
Niki Laudas Helm war rot.
Carlos Paces Helm war schwarz
mit einem gelben Pfeil.
Silverstone
Wenn ich nicht einschlafen kann, lasse ich den Grand Prix der Unschlagbaren in meinem Kopf abrollen. Natürlich ist niemand wirklich unschlagbar. Selbst die besten Fahrer der Formel-1-Geschichte wurden viel öfter geschlagen, als sie selbst siegen konnten. Unschlagbar sind die Teilnehmer an meinen nächtlichen Rennen aus einem anderen Grund. Sie sind alle tot.
Startaufstellung/Grand Prix der Unschlagbaren:
1. Reihe: Jim Clark. Gilles Villeneuve.
2. Reihe: Elio de Angelis. Jochen Rindt.
3. Reihe: Ayrton Senna. Patrick Depailler.
4. Reihe: Tom Pryce. Peter Revson.
5. Reihe: Stefan Bellof. François Cevert.
6. Reihe: Jo Siffert. Ronnie Peterson.
7. Reihe: Didier Pironi. Manfred Winkelhock.
8. Reihe: Mark Donohue. Helmut Koinigg.
9. Reihe: Piers Courage. Gunnar Nilsson.
10. Reihe: Roger Williamson. Roland Ratzenberger.
11. Reihe: Riccardo Paletti. Tony Brise.
12. Reihe: Carlos Pace. Graham Hill.
13. Reihe: Harald Ertl.
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