Blutberg - Kriminalroman
er.
»Nein«, antwortete Ásta, »aber weißt du, die Keule ist so groß, dass es ruhig auch fünfzig sein dürfen.« Sie reichte ihm eine weitere Knoblauchzwiebel und putzte die Lammkeule weiter.
»Vierzig sind bestimmt genug«, murmelte Árni und zückte
das Messer. Als er seine Kollegen zum Essen einlud, hatte er sich vergewissert, dass keiner von ihnen etwas gegen Knoblauch hatte. Trotzdem. Vierzig Knoblauchzehen für eine einzige Keule … Er kam sich vor wie ein Pastor der Staatskirche, der sich in einen Erweckungsgottesdienst verirrt hat.
»Was?«, fragte Ásta.
»Nichts«, sagte Árni und schärfte sich wieder einmal ein, nicht laut zu denken, wenn andere um ihn herum waren. Er zählte die Zehen ab, die fertig waren. Siebenunddreißig. Er zögerte, holte tief Atem und sagte sich im Stillen das erste Knoblauchgebot vor, wieder und wieder, aber das genügte nicht. Er schloss die Augen, atmete noch einmal tief durch und saugte den Geruch der Knolle ein. Der Knoblauch wirkte sein Wunder, Árnis Sinn kam zur Ruhe und lichtete sich.
Im Gegensatz zu Kant habe ich jetzt die Möglichkeit, die Richtigkeit meines Glaubens zu beweisen oder zu widerlegen, überlegte er. Das war doch eine einmalige Gelegenheit. Er beschloss, sie zu nutzen, öffnete die Augen und machte sich über die Knoblauchzwiebel her, die Ásta ihm gereicht hatte.
»Sechsundvierzig«, sagte er kurze Zeit später. »Ist das nicht genug?« Er stand auf, reichte Ásta das Brett und gab die Schalen in den Eimer für den Biomüll.
»Passt hundertprozentig«, sagte Ásta. Sie legte das Brett auf den Küchenschrank, schlang ihre Arme um ihn und drückte ihm einen stürmischen Kuss auf die Lippen. Árni zog sie mit einem Arm dichter an sich heran und ließ die andere Hand unter der Bluse den Rücken hinaufgleiten.
»Genau das meine ich auch«, murmelte er.
»Wo ist der Cognac?«, fragte Ásta.
»Was für ein Cognac?«
»Ich hatte dich gebeten, Cognac zu kaufen.«
»Hab ich vergessen. Kannst du nicht Whisky verwenden?«
»Natürlich kann ich Whisky verwenden«, sagte sie lächelnd. »Wo ist er denn?«
»Wozu brauchst du Whisky?«
»He, seit wann muss ich dir für meinen Whiskybedarf Rede und Antwort stehen?«, fragte Ásta, tätschelte ihm den schmalen Hintern und kniff in den Rettungsring, der sich oberhalb der Gürtellinie zu bilden begann. »Hol ihn einfach, Jungchen, und zwar ein bisschen dalli.« Sie verpasste ihm einen weiteren Kuss, befreite sich geschmeidig aus der Umarmung und gab die Keule in die siedend heiße Pfanne.
Árni gehorchte etwas enttäuscht und ging ins Wohnzimmer, wo es noch viel zu tun gab. Der Tisch war immer noch in der Verpackung und musste zusammengeschraubt werden, und erst drei von den sechs Stühlen waren benutzbar. Er hatte lange hin und her überlegt, ob er für diesen Abend in eine neue Esszimmergarnitur investieren sollte oder nicht. Die Beziehung zwischen ihm und Ásta war aus Árnis Perspektive im Begriff, etwas anderes und mehr zu werden, als sie bislang gewesen war, und deswegen war er darauf bedacht, gewisse Dinge vorsichtig anzugehen. Wie beispielsweise die Tatsache, dass er irgendwie an Esszimmermöbel herankommen musste. Als er seine Kollegen einlud, war ihm nicht im Traum eingefallen, wie kompliziert und heikel eine derartige Aktion sein könnte.
Die Essecke in dem grün gestrichenen Wohnzimmer hatte leer gestanden, seit Anna, Árnis Exfreundin, vor sechs Jahren mitsamt der Esszimmergarnitur und fast allem, was sie sich in den Jahren ihres Zusammenlebens angeschafft hatten, ausgezogen war. Fest stand, dass am Küchentisch kein Platz für sieben Leute war, auch wenn er ihn ins Wohnzimmer geschoben hätte. Außerdem besaß er einschließlich des alten hölzernen Hockers nur drei Stühle. Ásta hingegen hatte sehr nette Esszimmermöbel,
und es wäre natürlich naheliegend gewesen, ihr vorzuschlagen, sie in seine Wohnung zu schaffen. Problematisch dabei war nur, dass dadurch der Eindruck entstehen konnte, er würde sie drängen, und das wollte Árni unter allen Umständen vermeiden.
Als Nächstes hatte er die Idee, sich bei den Leuten in der Wohnung über ihm die Esszimmergarnitur auszuleihen. Auf den ersten Blick fand er auch nichts dabei, doch bevor er bei den Leuten anklopfte, hatte er sich das Ganze glücklicherweise noch einmal durch den Kopf gehen lassen und erkannte die Falle, als er an den nächsten Schritt dachte. Ásta hatte ihn einmal gefragt, weshalb er keine Esszimmermöbel besaß.
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