Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)
aus dem Augenwinkel gesehen, als ich losgerannt bin.«
»Blond? Dunkel?«
»Rothaarig. Gefärbt, so schreiend rot, daran erinnere ich mich.«
»Mit Rock? Oder Hose?«
»Kurzer Rock, glaube ich. Oder – eigentlich erinnere ich mich nur an die roten Haare.«
»Sie sagen, dass der Tote kein Stammgast war. Sind Sie ganz sicher?«
Sie nickte. »Ich kenne die Gesichter von den meisten Polizisten, und die sitzen in der Regel zusammen. Aber wir hatten ja schon zu. Ich war allein und wollte zumachen. Der Laden war fast leer, als der Typ das Bier bestellt hat.«
»Waren gestern Abend denn Polizisten da?«
»Früher am Abend, ja.«
»Haben Sie den Toten bemerkt, als der Krach losging?«
Sie schüttelte wieder den Kopf. »Nein. Es war das totale Chaos und dann knallte der Schuss. Es kann ja sein, dass er da einfach schon vorher auf der Bank gesessen hat, als die Schlägerei losging. Aber auch wenn er da gesessen hätte, weiß ich nicht, ob ich ihn im Dunkeln gesehen hätte.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hab die Bank überhaupt nicht gesehen.«
Gunnarstranda nickte schwerfällig. Es wurde langsam Tag. Hinter den Wohnblocks, die um den Platz herum aufragten, färbte sich der Himmel lila. Die Blocks erinnerten ihn an Theaterkulissen. Er sagte: »Kommen Sie bitte ins Präsidium, um das Vernehmungsprotokoll zu unterschreiben, irgendwann heute oder morgen.«
Knappe zwei Stunden später erklärte er den Kollegen auf dem Präsidium die Lage. Der Raum war brechend voll. Viele hatten Ivar Killi gekannt. Einige hatten mit ihm zusammengearbeitet, mit ihm trainiert, waren mit ihm auf der Polizeischule oder einfach so ab und zu mit ihm unterwegs gewesen. Viele waren einfach nur wegen des Schocks gekommen. Das Schlimmste, was in diesem Job passieren konnte, war passiert. Ein Kollege war erschossen worden.
Abteilungsleiter Rindal war kurz erschienen und dann wieder gegangen. Er hatte sein Beileid ausgesprochen und gesagt, es würden Gesprächsgruppen eingerichtet, sodass alle kommen und über die Sache sprechen könnten. Aber nun wollte er den Ermittlungen nicht weiter im Wege stehen. Damit hatte er das Wort an Gunnarstranda übergeben und sich zurückgezogen.
Die Stimmung war geladen. Reihenweise verweinte, stumme Gesichter. Augen, die dem Kontakt mit anderen Augen auswichen. Lena Stigersand zerknüllte ein Taschentuch in der Hand. Sie war nicht die Einzige. Alle waren erschüttert.
Gunnarstranda betrachtete seine Kaffeetasse, während er sprach. »Wir haben eine Personenbeschreibung der drei rausgeschickt, die die Schlägerei angezettelt haben. Wir haben wenig in der Hand, aber – alle Männer, die draußen rumlaufen, müssen sich ausweisen, und alle alten Bekannten, auf die die Kollegen heute Nacht stoßen, werden nach Waffen durchsucht.«
Stille breitete sich im Raum aus.
Gunnarstranda räusperte sich und fuhr fort: »Obwohl unsere Chancen, die Mordwaffe zu finden, wahrscheinlich minimal sind. Aber es hat schon Beschlagnahmungen gegeben, diverse Messer und eine abgesägte Schrotflinte.«
Das Schweigen der Anwesenden war voll knisternder Feindseligkeit. Gunnarstranda ließ sich nichts anmerken. Hier ging es um den Mord an Killi. Nicht um ihn selbst.
Dennoch erklärte Gunnarstranda, er habe Killi zwar nicht persönlich gekannt, fühle aber mit all denen, die einen Freund verloren hätten.
Dann schwieg er. Niemand sagte etwas.
Gunnarstranda wusste, vielen Kollegen passte es nicht, dass er die Ermittlungen leitete. Aber das war nicht seine Schuld. Und was erwarteten sie eigentlich? Sollte er zurücktreten?
Er ergriff wieder das Wort. Informierte die Anwesenden, dass Ivar Killi seit fast vier Wochen krankgeschrieben gewesen war. Inwieweit der Mord etwas mit seiner Arbeit als Polizist zu tun habe, dazu könne man jetzt noch nichts sagen. Das Asylet sei in der Stadt allgemein als ein Lokal bekannt, in dem viele Polizisten freitags ihr Feierabendbier tranken. Gestern, am Samstag, seien nur wenige Polizisten da gewesen. Die Kellnerin, die dem Unruhestifter hinterhergelaufen war, meine, Killi sei an dem Abend nicht im Asylet gewesen. Höchstwahrscheinlich habe er sich draußen auf dem Platz befunden, als die Schlägerei begann. Außerdem sei zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht auszuschließen, dass Killi eine engere Beziehung zum Täter gehabt hatte. Es sei zu früh, um überhaupt irgendetwas auszuschließen, solange es keine Tatzeugen gab – und man noch keinen Überblick über den tatsächlichen Ablauf hatte.
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