Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
Unbedarft? Naiv? Es war gleichzeitig anziehend und irritierend.
»Jenna. Sie können mich Jenna nennen.«
»Sehr wohl, Ma’am. Ich meine Jenna. Ich tippe mal, dass die Tatsache, dass Sie glauben, Adam würde nach Hause kommen, etwas mit den Dingen zu tun hat, die sich hier vor vier Jahren abgespielt haben.«
»Also, Hilfssheriff Bob.« Sie hielt inne. »Ist das wirklich Ihr richtiger Name? Oder sind Sie so etwas wie der Schulpolizist, der von allen Kindern, mit denen er arbeitet, so genannt wird?«
»Nein, Ma’am. Mein vollständiger Name lautet William Bob, aber so heißt schon mein Großvater, und mein Vater heißt Billy Bob …«
»Ihr Vater heißt Billy Bob?« Großer Gott, sie war tatsächlich hinter den sieben Bergen und in einer Folge der Country-Comedysendung Hee-Haw gelandet.
»Und er ist stolz darauf. In unserer Familie hat es seit den Zeiten vor der Revolution immer einen William Bob gegeben. Wir gehörten zu den ersten Siedlern hier.«
Jenna hob eine Hand, als Zeichen der Beschwichtigung. »Und Sie wollten nicht Willy Bob sein?«
»Oh nein, Ma’am. Nicht in meinem Job. Schien mir nicht passend. Also nennen mich alle Bob.«
»Hilfssheriff Bob.«
»Bob reicht völlig, Ma’am.«
»Dann reicht auch Jenna völlig.«
Er lächelte und blickte kurz auf seine Fußspitzen.
»Jawohl, Ma’am. Ich meine Jenna.«
»Sie haben damals vor vier Jahren an dem New-Hope-Fall gearbeitet.«
Er sah zur Seite und fuhr sich mit dem Finger über eine Augenbraue, als erwarte er dort eine Hutkrempe. Dann blickte er quer durch den Raum zu den Haken neben der Tür, an denen ein einsamer, beigebrauner Stetson hing.
»Ich hatte gerade erst auf der Sheriffwache angefangen. Aber ich würde das nicht ›an dem Fall gearbeitet‹ nennen. Ich bin eher zufällig dazugestoßen.«
»Wie das?«
»Nun, Ma’am, ich fuhr erst seit wenigen Wochen allein Streife, ohne Ausbildungsleiter. Deshalb hatte man mich auch in diesen Landkreis abkommandiert. Hier passiert nicht viel, ab und zu ein Verkehrsunfall. Nur erteilte mir just an diesem Tag der Sheriff persönlich – also der ehemalige Sheriff, Sheriff Dobbs, Sie wissen schon – einen besonderen Auftrag.«
»Und woraus bestand der?«
»Anscheinend hatte eine Frau unbefugt das Grundstück der Hardings betreten, und Mrs Harding regte sich furchtbar auf. Und Mr Harding, tja, der ist so eine große Nummer unten in Washington und so ziemlich der reichste Typ in der Gegend. Wenn der sich aufregt, dann regen sich auch der Sheriff und die Landräte auf. Also bestand meine Aufgabe darin, diese Frau zur Grenze des Landkreises zu eskortieren und sicherzustellen, dass sie nicht wieder umkehren würde.«
»Und diese Frau war wer?«, fragte Jenna, obwohl sie eine ziemlich klare Vorstellung hatte, um wen es sich handelte.
»Lucy … äh … Spezialagentin Guardino. Ma’am.«
»Also hatte keiner hier irgendeinen Schimmer, dass irgendetwas Schlimmes in New Hope vor sich ging?«
»Nein, Ma’am. Sehen Sie, wir wussten nur, dass Mrs Harding etwas Schlimmes zugestoßen war, als die Familie noch in D.C. wohnte. Sie tat mir leid. Aber das war Jahre her und lag weit in der Vergangenheit. Meinen Sie, Kurt Harding hätte die ganze Mühe auf sich genommen, ihr dieses schicke Haus oben auf dem Berg zu bauen und sie hierhin zu verfrachten, wenn er davon ausgegangen wäre, dass all der Horror direkt hier in ihrer Heimatstadt losgehen würde? Das nenne ich mal Pech.«
Pech, Glück – Jenna glaubte nicht daran. Sie nahm sich vor, die Kindheit und Jugend der Hardings in New Hope unter die Lupe zu nehmen.
»Und dass Kurt Harding da seine Finger im Spiel hatte, ist ausgeschlossen? Der Mörder hätte einen Komplizen haben können.«
Vielleicht hatte ein Komplize den Brief geschickt. Aus Wut darüber, dass Lucy seinen Beitrag zu den Ereignissen in New Hope nicht gewürdigt hatte.
»Lucy hatte denselben Gedanken. Sie hat ihn noch überprüft, als alle schon davon sprachen, dass der Mörder ums Leben gekommen war. Mich hat sie auch gefragt, denn zu dem Zeitpunkt war sie schon offiziell von dem Fall abgezogen worden. Aber er hatte ein Alibi.«
»War Harding also das einzige Opfer mit Verbindungen nach New Hope?«
»Das dachten wir damals. Bis wir Rachel Strohmeyer fanden. Sehen Sie, die Strohmeyers sind Mennoniten, sie stammen von unten aus dem Tal, und Rachel hatte am Markstand, wo sie das Obst und Gemüse ihrer Sippe verkaufte, einen Engländer kennengelernt – so nennen die Mennoniten Leute wie
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