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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sie?«
    Tschernowskij lächelte still. Jetzt wird er zum gelben Zwerg, dachte er.
    »Ornithologie –«
    »Was bitte?« Ignorows Kopf schoß vor.
    »Vogelkunde.«
    »O Gott! Machen Sie, daß Sie hinauskommen, Andrej Mironowitsch.« General Ignorow legte beide Hände über sein Gesicht. »Ich hab's ja immer gewußt, die Leute in der Sektion X sind Verrückte. Wie wahr das ist!«
    Zufrieden verließ Tschernowskij das Büro im 1. Stock und kehrte zurück zu seiner Abteilung im 3. Stock. Er rief die Funkstelle an und ließ eine Nachricht für Valentina Kysaskaja in Paris notieren. Heute abend um 20.17 Uhr konnte sie durchgegeben werden … dann hockte die schwarzlockige Valentina in ihrem Zimmerchen in der Rue de Poissy hinter dem Funkgerät und notierte die neuen Anweisungen aus Moskau.
    »Hier Yvette … hier Yvette …« tickte es dann über Tausende von Kilometern hinweg. Und aus Moskau kam die Antwort: »Es hört François …«
    Das Ohr und die Stimme Rußlands waren überall.
    Tschernowskij schlug die Mappe mit den Namen auf, die ihm Ignorow gegeben hatte. Nach einigen Bekannten suchend, überflog er die langen Listen. Mehrere Schriftsteller, hinter deren Namen bereits kleine rote Kreuze gemalt waren, standen auch in seiner Kartei als verdächtige, unzuverlässige Personen.
    Mit dem Finger fuhr Tschernowskij die langen Reihen ab. Der Fingernagel glitt auch über einen Namen, unbekannt unter hunderten:
    Karel Pilny, Reporter des Prager Rundfunks.
    Für Tschernowskij war er kein Begriff, sein Finger glitt achtlos über ihn hinweg.
    Ein paar Wochen später sollte er diesen Namen nie mehr vergessen.
    *
    Durch die Straßen Prags bewegte sich ein merkwürdiger, stummer, vom dumpfen Wirbel einer einsamen Trommel begleiteter Zug. Wer ihm begegnete oder an wem er vorbeimarschierte, blieb stehen, betrachtete die traurige Gesellschaft und lächelte vor sich hin. Über die breite Straße Vodickova zog er, bog in den Wenzelsplatz ein und bewegte sich langsam und würdevoll auf das Nationalmuseum zu. Die Schläger der Trommel wirbelten, die Kolonne der Autos auf der Fahrbahn teilte sich widerspruchslos, an den Ecken standen die Polizisten und drückten das Kinn an den Uniformkragen, unschlüssig, was hier zu tun sei.
    Der Zug trottete weiter. Es war eine Trauergemeinde in schwarzen Anzügen. Die Männer trugen Zylinder, die Frauen schwarze Kopftücher. Vor ihnen flatterte eine Fahne im Maiwind, ein grelles, rotes Tuch ohne jegliche Zeichen, nur ein langer Trauerflor hing von der Stangenspitze und zerschnitt die rote Farbe.
    In der Mitte der stummen, traurigen Kolonne rollte ein flacher Handwagen, gezogen von vier Männern, die man wie Pferde angeschirrt hatte. Die Wagenfläche war mit schwarzem Tuch ausgeschlagen, und auf ihm stand ein Sarg, nackt, ohne Kränze, ohne Schmuck, ein einfacher, hölzerner Armensarg mit all seiner Trostlosigkeit vom Sterben im Hinterhof. An den Seiten des Wagens aber hingen weiße Spruchbänder, und sie waren es, die den Menschen am Straßenrand ein Lächeln auf die Lippen zauberten, die Polizisten ratlos machten und die ausweichenden Autofahrer zu einem Winken anregten.
    Hier wird Novotnys Geist begraben, stand auf einem der Leinenbänder. Und auf der anderen Seite: Großväterchen Stalins letzte Knochen. Und am Ende des Wagens: Weint nicht – er hat es nicht verdient.
    Es waren – so schätzte man – über fünfzig Männer und Frauen, die neben dem Karren mit dem Armensarg durch die Straßen zogen, nicht nach rechts und nicht nach links blickten, sondern nur auf den Asphalt, über den der Sarg rumpelte.
    An der Ecke Krakovska - Wenzelsplatz kam es zu einer erregten Debatte, als der Trauerzug vorbeimarschierte. Ein kleiner dicker Mann stieß einen der Polizisten an und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die Kolonne.
    »Das sehen Sie sich an?« schrie der kleine Mann. »Warum greifen Sie nicht ein? Sind Sie verantwortlich für die Ordnung, he?«
    »Es sind Studenten.« Der Polizist las die Spruchbänder und unterdrückte ein Lächeln. »Ein Ulk, mein Herr. Wenn es Ihnen nicht gefällt, sehen Sie weg … gehen Sie weiter.«
    »Ich bin Altkommunist!« Der kleine dicke Mann prustete wie ein auftauchendes Nilpferd. Er hatte zu hohen Blutdruck und litt unter Asthma, – man hörte es jetzt. »Ich bin Mitglied der bäuerlichen Kommune! Können Sie nicht lesen, was da an dem Karren steht? Das ist eine Beleidigung Novotnys! Das ist eine Entehrung unserer Partei! Jagen Sie doch die langmähnigen Burschen

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