Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Handbreit sackte er in die Erde und für den Bruchteil eines Augenblicks wähnte er sich wieder von einem gleißenden Lichtstrahl getroffen, der das Bild einer weißen Taube vor seine brennenden Augen zauberte.
Aus der mit Laub gefüllten Vertiefung am Fuße des Stammes wühlte er seinen zerbrochenen Pfeil heraus. Und kaum dass er über dieses Mirakel nachzudenken begann, hielt er eine Madonna in den Händen. Eine Madonna aus schneeweißem Wachs, kaum größer als eine Taubenfeder. Angetan mit einem weiten Mantel und geschmückt mit einem geflochtenen Kranz aus Eichenblättern, von vollkommener Gestalt. Beschämt blickte er auf die Figur, die in seinen erdverschmierten Händen in doppelter Reinheit strahlte und immer mehr von seinen tränennassen Augen verschwamm.
Eppe von Hadstatt hatte verstanden: Ehrfürchtig grüßte er die Eiche der Heiligen Jungfrau.
***
Ein dumpfes Poltern riss Godwan aus seinen Gesichten. Aus dem zusammenbrechenden Scheiterhaufen regnete eine Funkenflut auf ihn nieder, doch sein über den Kopf gezogener wollener Umhang schützte ihn. Der Regen war weniger geworden und Godwan sah beruhigt, dass er dem Feuer nur wenig von seinem Leben genommen hatte. Doch so trunken er noch von Donars Nähe war: Godwan spürte, dass die Hitze schwächer geworden war. So kroch er näher an die Glut heran – auf dass die Sprache des Feuers ihn ein zweites Mal überwältigte.
3
Selbst die nächtliche Dunkelheit gab noch etwas von der Farbenpracht der bunt zusammengewürfelten Landsknechtsmannschaften frei, die sich hier im Jahr 1638 um eine große Feuerstelle gelagert hatte. Festlich funkelten im Widerschein die silbernen Beschläge der zusammengestellten Musketen, an denen mehrere breitkrempige Filzhüte hingen. Spielten die einen auf einer Feldtrommel Würfel, brieten andere auf einem Rost Fleisch. Wieder andere flickten an ihren Pumphosen oder nähten Knöpfe an ihre schmutzigen Waffenröcke. Aber fast alle waren sie betrunken, und immer wieder erscholl das wütende Gefluche derjenigen, die über unachtsam ins Gras geschleuderte Blechgeschirre stolperten. Es kam einem Wunder gleich, dass sich noch niemand einen der allgegenwärtigen Säbel in den Leib gerammt hatte.
All dieser Kriegspomp wurde von den Ästen eines eichenen Baumriesen überschattet, die in der Helle der aufflackernden Scheite drohend nach den Söldnern zu greifen schienen. Unbeachtet lagen die sich schemenhaft gegen den blauschwarzen Nachthimmel abzeichnenden
Zelte, zwischen denen Hühner scharrten und mehrere Ferkel nach Eicheln wühlten. Wüstes Lachen aus thüringischen, schwedischen und französischen Kehlen erfüllte die kühle Luft, so gespenstisch das abgestorbene Laub des Baumes auch zuweilen rascheln mochte.
Ein Teil der Lachsalven galt dem nackten, am Nachmittag von seinem Altar weggeraubten Oberrotweiler Priester. Mit einem Seil waren seine gefesselten Hände an den untersten Ast der Rieseneiche gebunden. Gierig versuchte er, von den ihm zugeworfenen Fleischstückchen den einen oder anderen Bissen zu erschnappen. Die entsetzlichste Hungersnot seit Menschengedenken zwang ihn zu diesem schmählichen Tanz, trotzdem hätte ihn das überlebende Viertel seiner Gemeinde darum beneidet. Denn das Fleisch, das sie aßen, war nicht vom Schwein, sondern von ihresgleichen.
Ohne die geringste Spur von Mitleid weideten sich die Söldner an den Qualen ihres Opfers, das immer wieder versuchte, sich auf die Knie herabzulassen, um wie ein Tier die danebengefallenen Brocken abzuweiden. Doch das Seil war zu kurz und die Gelenke des Priesters obendrein längst blutig gescheuert. Nach Stunden endlich erbarmte sich einer der Thüringer und begann den halbtot Dahängenden mit ein paar fetten Stücken zu füttern. Sein Beispiel regte einen Franzosen zur Nachahmung an, aber betrunken wie er war, stopfte er dem Priester ein solch großes Stück in den Mund, dass der zu husten anfing und den Kopf wegdrehte.
»Dein Almosen mag er nicht, Kamerad«, grölte eine Stimme. »Ist der Pfaff satt, so wünscht er gleich Pasteten.«
Der Franzose stierte auf sein Opfer, fasste dessen Kopf an den Ohren und schrie: »Ist er satt, ist er endlich satt, der Pfaff, was? Oder schmeckt’s ihm nicht mehr, was?«
Das lallende Brüllen war selbst für einen Franzosen schwer zu verstehen und doch ahnte der Priester, was sein Peiniger sagen wollte. Er schüttelte den Kopf und stammelte mehrmals ein verzweifeltes non , in das er ebenso oft ein pitié mischte, das Betteln um
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