Blutige Stille. Thriller
fragt er.
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich.«
Nach zehn Minuten haben wir das ganze Haus gecheckt, einschließlich des Kellers, der Schlafzimmer im ersten Stock und des kleinen Dachbodens. Ich arbeite gern mit Skid zusammen, kann mich auf seinen Polizeiinstinkt verlassen; wir sind ein gutes Team. Doch letztlich ist unsere Mühe vergeblich, im Haus ist niemand mehr.
Wir gehen zurück ins Wohnzimmer, bleiben einen Moment lang schweigend stehen. Wir vermeiden es, auf die Leichen zu schauen, und ich glaube, dass wir beide versuchen, mit der ungeheuren Brutalität des Verbrechens klarzukommen.
»Was glauben Sie, ist hier passiert?«, fragt Skid schließlich.
»Schwer zu sagen.« Ich blicke auf den toten Jungen zu meinen Füßen. So jung und unschuldig. Ich sehe zum Vater, und erst jetzt registriere ich, dass seine Hände nicht gefesselt sind. Doch als Polizistin weiß ich, dass der erste Eindruck oft trügt. In eingefahrenen Mustern zu denken ist gefährlich, wenn man einen Tatort betritt, weshalb ich stets versuche, keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen. Trotzdem frage ich mich beim Anblick des toten Mannes unwillkürlich:
Warum sind seine Hände nicht auch gefesselt?
»Haben Sie eine Waffe gefunden?«, frage ich.
»Dort drüben liegt eine Pistole.«
Mein Blick folgt dem Strahl seiner Taschenlampe. Unter der rechten Hand des Mannes guckt tatsächlich der blaue Lauf einer halbautomatischen Pistole hervor. »Könnte eine Beretta sein.«
»Ich wusste nicht, dass Amische Waffen besitzen.«
»Das ist auch eher die Ausnahme. Und wenn, dann höchstens Gewehre, zum Jagen«, erwidere ich, »keinesfalls eine Halbautomatik.«
»Seine Hände sind nicht gefesselt«, bemerkt Skid.
»Das Loch in seinem Hinterkopf sieht aus wie eine Austrittswunde.«
Unsere Blicke begegnen sich. »Glauben Sie, er hat das getan?«
Ich will mir diesen furchtbaren Verdacht nicht eingestehen. Dass der Mann durchgedreht ist, seine beiden Söhne getötet und dann sich selbst erschossen hat. Solch ein Szenario läuft allen Überzeugungen der Amischen zuwider. Ich weiß, das ist eine Verallgemeinerung, aber Morde sind extrem selten in einer amischen Gemeinde. Ebenso Selbstmord.
Es ist die einzige Sünde, für die es keine Vergebung gibt
.
»Ich weiß es nicht«, antworte ich und blicke mich um. »Irgendein Hinweis auf die Mutter?«
»Nein.«
»Ich glaube, sie haben noch mehr Kinder«, sage ich. »Mädchen.« Mir fallen die blutigen Abdrücke an der Hintertür ein, und mir wird ganz mulmig bei den Gedanken, die sich jetzt in meinen Kopf schleichen. »Kommen Sie, wir überprüfen den Hof und die Nebengebäude.«
Im günstigsten Fall haben sich die Mutter und ihre Töchter versteckt und sind total verängstigt – leben aber. Der Knoten in meinem Bauch sagt mir, dass diese Hoffnung sehr optimistisch ist.
Mit immer noch gezückten Waffen gehen wir durch die Küche zur Hintertür hinaus, werfen einen kurzen Blick auf die blutigen Abdrücke am Türrahmen.
»Könnten von einer Frau stammen«, bemerkt Skid.
»Oder von einem Teenager. Wenn mich die Erinnerung nicht trügt, sind die beiden Mädchen Halbwüchsige.«
Der Strahl seiner Taschenlampe fällt auf Blutstropfen und einen blutigen Schuhabdruck auf dem Beton. »Sieht aus, als wäre jemand aus dem Haus gerannt.«
»Richtung Scheune.«
Nach den dunklen Räumen kommt mir das Mondlicht übermäßig hell vor. Mein Schatten folgt mir auf dem Gehweg. Wir sind ungefähr zehn Yards gegangen, als ich die Gestalt am Boden sehe. Eine erwachsene Frau in einem schlichten Kleid mit Schürze und der weißen
Kappe
liegt bäuchlings im Gras. Doch richtig aus der Fassung bringt mich erst der Säugling in ihrem Arm.
»Gütiger Gott.« Skid fährt sich mit der Hand übers Gesicht. »Ein Baby!«
Die graue Haut und die glasigen Augen lassen keinen Zweifel, dass Mutter und Kind tot sind. Blut klebt im Gras wie ausgelaufenes Motorenöl. Auf der Schulter der Frau erkenne ich ein Loch so groß wie eine Zehn-Cent-Münze im Stoff. »Sieht aus, als wäre die Kugel direkt durch sie hindurch ins Baby eingedrungen.«
»Schuss in den Rücken.«
»Während sie weglief.«
»Chief, wer zum Teufel macht so was?«
»Ein Ungeheuer.« Unsere Blicke treffen sich, und ich hoffe, meiner verrät nicht die dunklen Gefühle, die in mir wüten. Ich deute zur Scheune. »Hoffen wir, dass noch jemand lebt und uns alles erzählen kann.«
Die Scheune ist ein massives Steingebäude mit rostigem Wellblechdach. Eine Kuppel mit Wetterfahne
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