Blutige Stille. Thriller
ragt zwei Stockwerke hoch in den Nachthimmel. Die sechs schmalen Fenster darunter muten wie alte, traurige Augen an. Es ist eine der vielen Scheunen in dieser Gegend, die weit über hundert Jahre alt sind.
Skid und ich gehen schweigend den Weg entlang. Das Zirpen der Grillen scheint mir ungewöhnlich laut, doch nur, weil meine Sinne übernatürlich geschärft sind. Irgendwo in der Nähe brüllen Kühe. Da ich so manchen Morgen kurz vor der Dämmerung mit Melken verbracht habe, kenne ich den dringlichen Laut. Die Euter der Tiere sind voll, sie warten darauf, gemolken zu werden.
Ich erreiche die Scheune und schiebe die Tür mit dem Fuß auf. »Nach Möglichkeit nichts berühren«, flüstere ich.
Die Scharniere quietschen. Der erdige Geruch von Vieh, Heu und Mist schlägt mir entgegen. In der Scheune ist es stockfinster. Mit der MagLite in der linken und der Waffe in der rechten Hand trete ich ein und leuchte blitzschnell um mich herum. Skid ist hinter mir, der Strahl seiner Taschenlampe durchschneidet das Dunkel zu meiner Linken. Sein Atem geht heftig.
»Hier ist die Polizei!«, rufe ich. »Kommen Sie mit erhobenen Händen raus!
Sofort!
«
Wir gehen tiefer in die Scheune hinein. Das Rauschen des Blutes in meinen Adern ist ohrenbetäubend. Wenn sich jetzt jemand von hinten anschliche, würde ich ihn nicht einmal hören. Als sich vor mir etwas bewegt, fahre ich beinahe aus der Haut. Ich hebe den Arm mit der Waffe, den Finger am Abzug. Mein Hirn braucht ein paar Sekunden, um den Anblick von einem Dutzend Jerseykühen zu verarbeiten, die in ihren Verschlägen stehen und darauf warten, gemolken zu werden.
»Nur gut, dass ich nicht auf die Kuh geschossen hab«, murmele ich.
»Ein bisschen Licht wär nicht schlecht.«
»Wahrscheinlich gibt’s hier irgendwo eine Laterne.«
Zu meiner Linken erkenne ich Viehställe, weiter vorn ist der Melkbereich. Der Gestank von saurer Milch, typisch in Molkereibetrieben, steigt mir in die Nase. Mein Blick fällt auf den Stein- und Betonboden mit den Melkständen und Futterraufen. Obwohl viele Amische inzwischen moderne, mit Diesel oder Benzin betriebene Melkmaschinen verwenden, sehe ich nichts dergleichen hier. Die Planks melken offensichtlich noch mit der Hand.
Ich suche Skids Blick und bedeute ihm, nach links zu gehen. Ich wende mich nach rechts auf einen breiten Gang aus Lehm. Vor mir liegt ein großer Bereich mit landwirtschaftlichen Geräten. Ich erkenne einen Pflug mit Stahlrädern und Scharblättern, die nach dem Zufallsprinzip arbeiten, einen Buggy, dem ein Rad fehlt und der mit einem Wagenheber aufgebockt ist. Durch das Fenster fällt Mondlicht auf einen eingestaubten Gülleverteiler. Rechts von mir befindet sich eine geschlossene Tür. Da sie nahe der Pferdeboxen und Geräte ist, vermute ich, dass sich dahinter die Sattelkammer befindet, wo Pferdegeschirre, Tierpflegematerialien, Halfter und Tiermedizin gelagert werden. Hier bewegt sich nichts, also gehe ich hinüber zur Tür, drehe am Knauf und stoße sie auf.
Der Strahl meiner Lampe fällt in einen großen Raum mit grobbehauenen Wänden und einem Holzboden. Die hohe Decke wird von Balken getragen, die so breit wie Männerhüften sind. Als mein Blick auf das Mädchen fällt, fährt mir der Schreck durch alle Glieder. Instinktiv hebe ich die Waffe. Auf den ersten Blick scheint es, als hätte sie die Arme über dem Kopf ausgestreckt, doch dann sehe ich die gefesselten Handgelenke, die an einem Balken über ihr angebunden sind.
Eine Sekunde lang bin ich so schockiert, dass ich erstarre, nicht sprechen oder denken kann. Dann meldet sich die Polizistin zurück und hämmert die grauenvollen Details des Anblicks in mein Hirn. Das Opfer ist jung und weiblich. Nackt, bis auf die
Kappe
. Den Kopf nach vorne geneigt, so dass ihr Kinn auf der Brust liegt, ist sie mit den Händen am Deckenbalken angebunden. Ihre Knie sind eingeknickt, doch der Strick hält sie aufrecht.
»Mein Gott«, höre ich mich sagen.
Ich leuchte mit der Taschenlampe den Rest des Raumes ab und schnappe nach Luft, als der Strahl auf das zweite Opfer fällt. Ebenfalls weiblich, etwas älter. Ebenfalls nackt bis auf die
Kappe
. Und wie das andere Mädchen hängt auch sie an einem Deckenbalken.
Im Laufe meiner Polizeiarbeit bin ich schon öfter mit dem Tod konfrontiert worden, als mir lieb ist. Ich habe furchtbare Verkehrsunfälle gesehen, Menschen, die einen Herzschlag oder Schlaganfall erlitten haben, und erst vor zwei Monaten gab es da diesen Mann, der in
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