Blutige Vergeltung
stellte aber fest, dass darin noch immer die leere Flasche steckte. Außerdem sah er eh nicht her.
Unmerklich veränderte sich die Luft im Raum. Ich ließ die Hand wieder sinken.
„Einfach so“, sagte Galina. „Jill …“
„Er hat es mir schon erzählt. Du kannst nichts dafür.“ Ich bin schuld. Ich hab das Spielchen zu spät durchschaut. Ich hätte früher reagieren müssen, hätte mehr sehen sollen. Die schwere Last der Verantwortung und Enttäuschung wog auf meinen Schultern.
Galina seufzte, doch der Laut stockte. „Ich hätte ihn hierbehalten sollen. Ich dachte, die Gefahr wäre vorbei.“
Das war sie, und andererseits nicht. „Sie war vorbei.“ Die Kohlensäure drückte sich an dem Kloß in meinem Hals vorbei, ich hauchte Bier und den Geschmack von Versagen auf das Glas. Es bildeten sich kleine Kondenstropfen. „Tut mir leid, die Sache mit deinem Bett.“
Lange sagte sie nichts. Wahrscheinlich musste sie erst den Mut sammeln. „Dafür ist es schließlich da. Jill …“
Herrgott, Galina, wenn du dich auch nur noch einmal entschuldigst … „War vorhin nicht die Rede von Essen? Ich bin am Verhungern.“
„Ist schon unterwegs.“ Zum Glück beließ sie es dabei. „Theron hat dir ein paar Klamotten vorbeigebracht. Er meint, dein Haus ist wieder sauber – keine Höllenbrut weit und breit. Ich muss ihn anrufen und ihm sagen, dass du wach bist.“
„Das wäre klasse.“ Noch immer drehte ich ihr meinen steifen Rücken zu. Atmete weiter gegen das Fenster und sah zu, wie die Tröpfchen verdunsteten wie Geister. Ich hatte Kopfschmerzen. „Hast du Kaffee?“
„Ich bring gleich welchen hoch. Wo das Bad ist, weißt du ja.“ Wieder zögerte sie.
„Essen, Galina“, sagte ich so freundlich wie möglich. „Noch habe ich mit der Sache nicht abgeschlossen.“
„Wird erledigt.“ Schnell und flink wie ein Blatt im Wind drehte sie sich um und war im Nu die Treppe hinuntergeeilt.
Ich legte den Kopf in den Nacken und musterte die Dachschräge. Auf der anderen Seite des Zimmers erblickte ich im Spiegel über Galinas antikem Waschtisch aus Kirschholz mein Abbild wie einen schwarzen Schmutzfleck. Der Putz an ihrer Decke verschwamm, wirbelte herum.
Die Tränen rannen mir aus den Augen und verschwanden in meinem dreckigen Haar. Himmel. Carp, du Arschloch! Warum hast du nicht auf mich gewartet?
Als der Druck hinter meinen Augen nachließ und von unten der leckere Geruch nach Gebratenem heraufstieg, ließ ich den Kopf wieder sinken. Die Straße vor mir lag in gleißendem Sonnenlicht, es gab ein wenig Verkehr. Auf der anderen Seite parkte der Dodge, dahinter war der leere Platz, an dem Leons Truck gestanden hatte.
Ein wirklich schönes Stück amerikanischer Wertarbeit. Sicher, man musste ein bisschen Arbeit hineinstecken, um es wieder in Form zu bringen. Und Monty würde mit Sicherheit die Augen verdrehen, wenn ich ihn darum bat, das Auto beschlagnahmen zu dürfen. Aber es gab keinen Grund, es im Abschlepphof der Polizei zu lassen.
Absolut keinen Grund. Abgesehen davon, dass ich es im Moment nicht fahren wollte.
Ich drehte mich vom Fenster weg und hoppelte auf steifen Beinen auf die Badezimmertür zu. Galina hatte hier oben eine Dusche, und ich konnte wahrlich eine vertragen. Danach so viel Essen, wie ich in das schwarze Loch stopfen konnte, zu dem mein Magen geworden war. Und danach auf zu neuen Taten!
Und wenn ich erst einmal unter dem heißen Wasser stand, könnten die Tränen fließen, könnte ich leise Klagelaute von mir geben wie ein verwundetes Tier, könnte ich meine Haut so fest schrubben, als wäre die hübsche rosa Seife mit dem Blütenduft ihr ärgster Feind – und es würde niemanden außer mich etwas angehen. Es würde zwischen mir und dem Wasser bleiben, und das Wasser würde nichts ausplaudern. Gemeinsam mit dem Blut, dem Schmutz und dem Bier, das ich wieder hochwürgte, würde es meine Tränen in die Finsternis der Kanalisation unter der Stadt spülen.
32
Es war ein komisches Gefühl, wieder in die Polizeistation zu kommen. Niemand sagte auch nur ein Wort des Vorwurfs zu mir, aber wo ich auftauchte, verstummten sämtliche Gespräche. Nachdem ich vorübergegangen war, stellte sich leises Flüstern ein. Ich marschierte in Montaignes Büro und ignorierte sowohl die nervösen Blicke als auch das Getuschel.
Wer von ihnen war froh darüber, dass ich noch lebte?
Und wer nicht? Wer von ihnen hatte ein schmutziges Geheimnis und ein Sturmgewehr? Und Zugriff auf einen blauen Buick?
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