Blutige Vergeltung
und der Pager an meiner Hüfte vibrierte. Gerade wollte ich abheben, als der Anrufbeantworter ansprang. Eine Weile herrschte Stille, dann piepste es.
„Hey, Kätzchen.“ Aus dem Lautsprecher drang eine Stimme, die mir so vertraut war wie meine eigene, nur etwas verzerrt. „Du bist wohl unterwegs …“
Mein Pager verstummte. Dann drückte ich die Sprechtaste, und der AB gab noch ein letztes Fiepen von sich, bevor er sich abschaltete. „Tut mir leid.“ Atemlos ließ ich mich aufs Bett fallen. „Himmel, tut es gut, deine Stimme zu hören.“
„Hi.“ Saul klang müde. „Und mich freut es, dich erwischt zu haben, Kätzchen. Wie läuft’s so in der großen bösen Stadt?“
Ich spürte einen Stich im Herz. Ich vermisse dich, und Perry hat angerufen. „Ist nicht viel los. Monty will, dass ich mir da ein paar Sachen ansehe. Außerdem hatte ich mit einem Trader zu kämpfen.“
„Was Schlimmes?“ Seine Stimme war genauso schön wie der Rest von ihm.
Ich schloss die Augen und stellte mir vor, er stünde neben mir. Ein großer dunkelhaariger Wer, der aussieht wie der Bilderbuch-Indianer aus einem Schnulzenroman – abgesehen von dem grünen Schimmer, den seine Augen in bestimmtem Licht annahmen, wenn die Netzhaut anders als sonst reflektierte. „Ach, nur das Übliche. Ich hab sogar einer Zivilistin das Leben gerettet.“
„Braves Mädchen.“ Ein warmes anerkennendes Grollen rumorte durch die Leitung und drohte auf einmal, jeden einzelnen meiner Muskeln zu lockern.
„Wie gehts deiner Mum?“ Plötzlich war mein Mund ganz trocken, und ich musste schlucken. Sauls Mutter war nicht sonderlich begeistert gewesen, als ihr die höllenbrutverseuchte Jägerin vorgestellt wurde, für die ihr Sohn seinen Platz im Rudel aufgegeben hatte. Trotzdem hatte sie mich mit tadelloser Wer-Höflichkeit als Gast in ihrem Heim willkommen geheißen und für mich gekocht. Sie hatte mich sogar der entfernteren Verwandtschaft vorgestellt und die Feuerzeremonie vollzogen, die alles formal besiegelt hatte. Soweit es Saul betraf, waren wir offiziell zu Gefährten erklärt.
Und für seinen Stamm galten wir damit quasi als verheiratet, auch wenn ich … na ja, wenn ich eine Enttäuschung war. Aber sie hatten kein Wort darüber verloren, sondern mich mit Wertypischem Taktgefühl behandelt.
Ich fragte mich, ob sie es mittlerweile bereuten.
„Sie bekommt Morphium.“ Saul wechselte den Tonfall. Er klang tiefer und ein wenig schroffer. „Es könnte schlimmer sein. Meine Tanten sind jetzt hier und singen für sie.“
Lieber Gott. Sie muss schon im Sterben liegen. Mehr brauchte dazu nicht gesagt werden.
Eine Weile hörte ich ihm beim Atmen zu. „Ich liebe dich“, flüsterte ich. Ich kann ihr nicht helfen. Wenn ich könnte, dann würde ich – würde den Krebs jagen, einfangen und ihm eine Knarre an den Kopf halten. Ihm die Kehle durchschneiden. Ihn für dich töten.
„Das weiß ich, Kätzchen.“ Das Telefon vibrierte sachte -tief aus seinem Brustkorb drang ein Schnurren. So reagieren Werwesen immer, wenn ihr Partner Kummer hat. „Geht s dir auch wirklich gut?“
Seine Mutter lag im Sterben, und er war ganz allein da draußen, weil ich die Stadt nicht verlassen konnte – niemand konnte im Moment für mich einspringen. Die Lehrlinge, die mich während unserer Flitterwochen vertreten hatten, waren wieder zu Hause, wo sie genauso dringend gebraucht wurden.
Und er fragte, ob es mir gut ging.
Du bist zu gut für mich, Saul. Die Talismane in meinem Haar klimperten, während ich mit meinem Pager herumspielte, den ich vom Gürtel genommen hatte. Aus Gewohnheit nahm ich das verfluchte Ding in seiner gepolsterten kleinen Tasche überall mit hin, ausgenommen, wenn ich Blut und Gestank aus meinem Mantel wusch. „Alles bestens! Ich wünschte nur, ich könnte bei dir sein.“
„Das wünschte ich auch. Du tust mir den Gefallen und passt auf dich auf, hörst du?“ Er war mit den Gedanken schon wieder bei der nächsten Katastrophe, sonst hätte er sich das verkniffen. Es kam so gut wie nie vor, dass er mir einschärfte, vorsichtig zu sein, weil es bedeutete, dass er mir nicht zutraute, auf mich selbst aufzupassen.
Werwesen sind in der Hinsicht ziemlich empfindlich. „Tu ich doch immer. Brauchst du mich?“ Du brauchst es nur zu sagen, Saul. Nicht, dass ich hier wegkönnte, aber ich wäre auf der Stelle bei dir, wenn du mich darum bätest.
Sollte ich dankbar dafür sein oder ein schlechtes Gewissen haben, weil er verstanden und mich nicht
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