Blutige Vergeltung
zusammensackte. Sein Stuhl knarzte, und er ließ den Blick auf die Blätter vor sich sinken. Zwischen uns machte sich Stille breit, eine ungewohnte, unangenehme Stille.
Endlich rührte er sich wieder, und abermals quietsche sein Sitzmöbel. „Danke.“
„Kein Problem.“ Wofür hat man denn Freunde, Monty? Und wenn man eine Freundin hat, kann man das genauso gut nutzen. „Ich geh dann mal.“
„Alles klar. Aber wenn es sich vermeiden lässt, dann zerstör nicht wieder irgendwelches öffentliches Eigentum, ja?“
Herrgott noch mal. Ich war bereits an der Tür. „Ich kann für nichts garantieren, Monty. Bis später.“
Mit einem letzten Fluch verabschiedete er mich.
Die Plastikwände der Bushaltestelle waren verkratzt und mit Rissen übersät. Ich suchte alles Zentimeter für Zentimeter ab: weggeworfene Kippen, ein überquellender Mülleimer, der Gestank von Verzweiflung.
Wie an jeder anderen Haltestelle auch, wenn man’s genau bedachte. Mit rasender Geschwindigkeit brach die Morgendämmerung an, der Himmel im Osten war voller tiefblauer und rosa Schlieren, durchzogen von goldenen Bändern und sanften orangenen Farbklecksen. Hinter dem Unterstand war eine nackte Ziegelmauer zu sehen, und in einer Gasse daneben trieb Papiermüll über den Boden. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erstreckte sich der Percoa Park und flimmerte unter dem bleiernen Hitzeschleier im frühmorgendlichen Dunst. Die Bäume schienen erleichtert aufzuatmen, als die Sonne aufging.
Michael Spilham: vierunddreißig, Schulabbrecher, lebt bei seiner Mutter und arbeitet in einem Versandwarenlager vier Blocks von hier entfernt. Nach Schichtende war er bestimmt müde, die Überstunden machten sich in Füßen und Schultern bemerkbar. Also stand er wahrscheinlich hier, an den Pfeiler der Haltestelle gelehnt. Der Akte nach war er Nichtraucher, also wartete er, ohne sich eine anzustecken. Vermutlich starrte er einfach vor sich hin und hing irgendwelchen Allerweltsgedanken nach.
Ich schloss die Augen. Atmete tief ein. Roch Abgase, den Duft von Armut und müden Füßen, Müll und Asphalt.
Das plötzliche Verstummen eines kaum hörbaren Summens ließ mich aufschrecken. Die Laterne zu meiner Linken war einfach ausgegangen. Ich sah rechts die Straße hinunter. Glasscherben funkelten wie Diamanten, als der Stern, um den wir alle uns drehen, am Horizont höher stieg.
Vorsichtig verließ ich die Haltestelle. Meine Intuition meldete sich, kitzelte und prickelte mir im Rücken, ließ mir die feinen Härchen im Nacken unter dem Gewicht meiner silberbepackten Haare zu Berge stehen. Mein Mantel, der vom Waschen noch immer feucht war, flatterte raschelnd empor. Höchste Zeit, mir einen neuen zu kaufen – die Krallen von Höllenbrut bedeuten für Leder den Tod.
Diese Laterne war hinüber, nur noch zerbrochenes Glas auf dem Gehsteig – kleine, sternförmige Splitter als Resultate eines gewissen Kraftaufwands. Intuitiv fröstelte ich und bekam Gänsehaut an den Armen. Ein leichter, aber unverkennbarer Duft stieg mir in die Nase: Verderbnis und eine Süße wie von verbrannten Bonbons.
Oha.
Ich ließ mich in die Hocke sinken und grub die Absätze in den Asphalt. Meine Lederhose machte ein kaum hörbares Geräusch, als tote Kuhhaut aneinanderrieb. Mein schlaues Auge erblickte die Stränge unter der Oberfläche der Welt, die auf einen mächtigen Ausbruch von Blutdurst und Furcht reagierten.
Und auch mein dummes Auge stellte sich gar nicht mal so blöd an. Unten am Laternenpfahl entdeckte es schimmernde, verschmierte Streifen. In der Wüste trocknet Blut ziemlich schnell, aber so nah am feuchten Park war es noch nicht wieder völlig abgeblättert.
Oha zum Zweiten! Die Abdrücke stammten von Fingern. Jemand mit blutigen Händen hatte sich an der Straßenlampe festgehalten. Und jetzt konnte ich auch die Flecken auf dem dreckigen Gehsteig sehen, die seltsam hell waren – rosa statt rot.
Blut sollte anders aussehen. Ich hatte das Gefühl, kleine, eiskalte Finger würden mir über den Rücken fahren. „Scheiße“, hauchte ich und berührte einen der Schmierer auf dem einbetonierten Fuß der Laterne. „Scheiße!“
An meinen Fingern klebte pulvriges Rosa. Als ich die Hand hob, drehte ich mich, sodass Sonnenlicht auf meine Haut fiel.
In einer kleinen Rauchwolke verpuffte das Pulver, von meinen Fingern stieg Rauch auf. „Gottverfluchte Scheiße“, flüsterte ich. „Verfickter Dreck, zum Teufel!“
Es gibt nur eine Sache in der Welt, die Blut zu
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