Blutiger Frühling
D ie Sonne stand bereits im Westen. In den Pfützen, die noch vom kürzlich gefallenen Regen die tief ausgefahrenen Karrenspuren füllten, spiegelten sich Bäume und Gebüsch rechts und links des Weges. Der Wald war hier von vielen Lichtungen unterbrochen. Im vergangenen Winter hatte der Klostervogt beinahe alle alten Bäume schlagen lassen. Überall ragten an dieser Stelle die mächtigen Stümpfe der Eichen und Buchen aus dem schütter bewachsenen Boden.
Die Frau, die sich beim Gehen sorgfältig auf dem grasigen Mittelstreifen zwischen den Karrenspuren gehalten hatte, blieb stehen. Sie stellte den kunstlos geflochtenen Weidenkorb ab, den sie am Arm getragen hatte, zupfte das Tuch zurecht, mit dem er zugedeckt war, und betrachtete tief aufatmend ihre Umgebung. Im kühlen Wind, zwischen den toten Stümpfen des Kahlschlags, wehten die fahlgelben Rispen des Waldgrases wie blasses Mädchenhaar. Aufsteigender Dunst verschleierte die jungen Fichten jenseits der Lichtung und verwandelte ihr schwärzliches Grün in zartes Blaugrau. Die Wipfel einiger letzter Hainbuchen trugen schon Spuren herbstlichen Goldes. Hoch oben in der durchsichtig gläsernen Luft über der Senke zogen zwei Habichte ihre trägen Kreise.
Einen Augenblick stand die Frau still und träumend, die Augen zum Himmel gerichtet. Dann, als sei sie plötzlich wieder erwacht, senkte sie den Kopf und tat einen langen Schritt über die wassergefüllte Karrenspur zum Wegrand. Ihr Blick wanderte suchend, prüfend über den moosigen Fleck am Fuß einer Kiefer. Sie bückte sich und klaubte drei, vier dicke, braunköpfige Pilze aus dem Moos.
Steinpilze. Und da, dicht am Stamm der Kiefer, standen weitere – fleischige, junge Exemplare, wie sie schöner nicht sein konnten.
Die Frau zog ein kleines Messer aus der ledernen Scheide an ihrem Gürtel und halbierte die gefundenen Pilze sorgfältig. Alle waren ohne Maden – tadellos. Aber in den vollen Korb passten sie nicht mehr. Ein Augenblick des Überlegens, dann knüpfte die Frau das verblichene rote Tüchlein von ihrem Hals los und band die Pilze vorsichtig darin ein.
Sie lächelte, als sie den improvisierten Beutel am Henkel ihres Korbes festknotete. Sie mochte siebzehn sein, vielleicht auch achtzehn und sicherlich noch nicht verheiratet, denn sie trug das prachtvoll glänzende schwarzbraune Haar unbedeckt, schlicht in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem dicken geflochtenen Knoten aufgesteckt. Über ihrer runden Stirn und an den Schläfen kringelten sich ein paar widerspenstige Löckchen.
Ihr Gewand, ein aus graubraunem Wollzeug gemachter knöchellanger Rock mit schwarzleinenem Schnürmieder, unter dem ein üppig gefälteltes weißes Hemd hervorblitzte, war ohne Zweifel ein Bauerngewand. Aber vielleicht unterstrich es, so grob und ungeschlacht es war, gerade durch seine völlige Schmucklosigkeit die zierliche Gestalt seiner Trägerin. Nicht einmal das dicke, ebenfalls graubraune und rauwollige Tuch, das ihre Schultern verhüllte, konnte über ihr wenig bäuerliches Aussehen hinwegtäuschen.
Die junge Frau hievte den schweren Korb vom Boden hoch. Mit einem letzten kurzen Blick zum Himmel setzte sie ihren Weg fort, stapfte in den klobigen, holzbesohlten Schuhen weiter den Weg entlang. Steinpilze! Beinahe die Hälfte ihrer Beute bestand aus Steinpilzen. Natürlich waren die für das Bauernvolk verboten und mussten abgegeben werden. Nicht umsonst wurden sie ja auch Herrenpilze genannt. Aber diesmal sollten sie zu Hause in der Pfanne landen und nicht in der Klosterküche!
Über der Nasenwurzel der jungen Frau zeigte sich eine senkrechte Falte. Sie kniff die Lippen zusammen, schob das Kinn vor und beschleunigte ihre Schritte. Man würde die Steinpilze so fein schneiden, dass sie zwischen den anderen – den Täublingen und Ritterlingen und Stockschwämmchen – nicht mehr auszumachen waren. Man würde viel Zwiebel dazugeben. Und dann sollte einmal jemand kommen und behaupten ...
Die tiefstehende Sonne warf goldene Lichter durch das Gezweig der Haselbüsche. Der Himmel, noch vor kurzer Zeit von hellem, durchsichtigem Blau, begann sich rosig zu färben. Es war empfindlich kühl geworden.
Hufschläge drangen auf einmal durch die Stille. Die junge Frau wandte den Kopf. Ein Reiter näherte sich hinter ihr in schwerfälligem Trab. Sein Tier, ein kräftig gebauter Falber, blies weiße Atemwolken aus den Nüstern und schritt weit aus. Es dauerte nur wenige Herzschläge, bis er die junge Frau
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