Blutiger Frühling
Tausenden verzweifelter Streiter gesungen – das war vorbei. Kein Blut auf prangenden Fluren, so weit das Auge blickte. Der Sommerregen hatte es längst gnädig weggewaschen, als sei es nie da gewesen. Aber auch die Hoffnung war gestorben in den Weilern, die er passiert hatte. Nur Trostlosigkeit und Entsetzen –Jammern, Weinen, Trauer um die Verlorenen, grenzenloses Elend waren ihm begegnet. Die Raben kreisten heutzutage über unzähligen Richtstätten, nicht mehr über Schlachtfeldern.
O ja, die hohen Herren hatten gewonnen, auf der ganzen Linie. Bauern und Reichsritter waren die Verlierer. Warum es so gekommen war, wen kümmerte das noch? Jetzt verrichtete die Obrigkeit ihre blutige Arbeit, und sie tat es gründlich. Kaum ein Haus, in dem nicht einer fehlte von nun an. Was ihn erwartete, wenn er wieder daheim war, wusste Albrecht nicht. Hatten die Bauern aus Weißenstein einen »Heißen Stein« gemacht, wie ihm das einmal einer vom Hellen Haufen zugerufen hatte? Gab es das Haus seiner Geburt überhaupt noch – oder würde er bei seiner Rückkehr eine ausgebrannte Ruine vorfinden?
Gleich – alles gleich. Albrecht ließ den Blick teilnahmslos über die blumenübersäten Wiesen wandern. Die Herrlichkeit des Frühsommers berührte ihn nicht. Ohne Anna gab es kein Glück mehr für ihn. Nur noch die Pflicht.
Aber welche? Darüber war sich Albrecht nicht recht im Klaren. War er noch Grundherr – oder hatten sie ihn schon mit der Acht belegt? Hatte ihn das kaiserliche Gericht auch für vogelfrei erklärt wie einige der anderen Edelherren, die mit den Bauern gemeinsame Sache gemacht hatten?
Irgendwie erschien es ihm unwichtig. Mochten sie ihn doch aus dem Hinterhalt niederschießen wie den Geyer. Was hatte er denn zu verlieren?
Anna lebte nicht mehr. Warum nur war sie ihm nicht dieses eine Mal gehorsam gewesen und in Sicherheit geblieben, anstatt ihrem wilden Herzen zu folgen? Warum hatte sie sich in eine so übermächtige Gefahr begeben – in der sie umkommen musste?
Eine große Todessehnsucht überkam Albrecht. Seine Augen brannten. »Liebste«, flüsterte er vor sich hin, »du bist einfachfortgegangen und hast mitgenommen, was mich lebendig machte. Was ist ein Mann ohne Herz und ohne Seele?«
Seine Hand ging nach dem Dolch an seiner Seite. Einfach aufhören zu existieren – alle Einsamkeit, alles Elend und allen Schmerz hinter sich lassen und sie vielleicht drüben wiedersehen ... dieser Gedanke übte eine dunkle Lockung aus. Aber durfte er dieser Lockung nachgeben? Würde die Sünde, sich selbst das Leben zu nehmen, ein Wiedersehen auf der anderen Seite nicht unmöglich machen ...?
Noch etwas hinderte ihn daran, die Tat zu begehen. Er zog die Hand zurück, die das Heft des Dolches schon berührt hatte. Nicht so, dachte er. Nicht von eigener Hand, das ist eines Wolfs von Weißenstein nicht würdig.
Am besten würde es sein, wenn sie ihn aufspürten – hier auf offener Straße. Dann konnte er noch einmal das Rapier ziehen und sein Leben in den Kampf werfen. Er würde sich nicht verstecken wie ein Verbrecher. Die Sache, für die er gekämpft hatte, war auch jetzt noch aller Ehren wert. Und es lohnte sich nach wie vor, dafür zu sterben, ungeachtet dessen, dass der Aufstand der Bauern unwiderruflich zu Ende war – untergegangen in einem Meer von Blut, so wie seine eigenen hochfliegenden Pläne.
Der Falbe schnaubte noch einmal und warf den Kopf hoch. »Was hast du, mein Braver?«, fragte Albrecht tief atmend. Er tätschelte dem Hengst den glatten Hals. »Spürst du, dass es nicht mehr weit ist nach Weißenstein?«
Das Pferd setzte sich von selbst wieder in Trab. Sollte es laufen. Er gab ihm die Zügel frei. Zu Ross auf einer Straße war er Anna das erste Mal begegnet, damals im September. Es schien Ewigkeiten her zu sein.
In der Ferne war ein kleines Gehölz, bei dem ein Maultier graste. Da würde er rasten. Der Bach am Straßenrand führte klares Wasser – gut geeignet, den brennenden Durst zu stillen ...
Nur den einen nicht. Der würde bleiben und ihn quälen bis ans Ende seiner Tage. »Lass es bald sein, Gott«, flüsterte Albrecht, den Blick auf die Baumgruppe geheftet, die langsam näher kam. »Und bis dahin – gib mir Frieden!«
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