Blutiges Echo (German Edition)
für einen mutigen Kerl hielt. Er schluckte trocken. »Also gut, machen wir ’ s.«
»Vielleicht lassen wir es doch lieber sein«, sagte Kayla. »Wenn du nicht möchtest, müssen wir ja nicht, Harry.«
»Ach was«, sagte Joey, »das geht schon in Ordnung. Er ist einverstanden, macht ihm gar nichts aus. Den Schuppen benutzt sowieso keiner mehr.«
Dann hob er einen Stein auf und ließ ihn gegen eine Fensterscheibe krachen. Das Glas zersprang. Er fasste durch das Loch hindurch nach dem Griff und drehte ihn. Mühelos schob er das Fenster hoch und kletterte hinein.
Als Nächstes war Kayla dran. Harry verschränkte die Hände, damit sie darauftreten und durchs Fenster steigen konnte.
»Pass auf die Scherben auf«, sagte er.
Kayla lächelte ihn an. Jetzt stand sie nicht mehr in den tiefen Schatten, und er konnte ihr Lächeln genau erkennen. Es ließ ihn ganze zwei Meter wachsen.
Sie stieg auf seine Hände und durch den Fensterrahmen. Harry warf noch einen letzten Blick auf die Autokino-Leinwand, bevor er ihr hinterherkletterte. Es war eine blutige Todesszene. Ein Kung-Fu-Meister mit einem scharfen Schwert enthauptete eine Kriegerin.
Drinnen erwarteten sie dichte Schatten und dicker Staub. Der schnürte ihnen die Kehle zu, und Harry fing an zu husten. Kayla zog eine kleine Taschenlampe aus der Gesäßtasche und knipste sie an.
Tische standen herum, auf einer Seite befand sich ein langer Tresen, und an der Wand stand eine Jukebox. Es herrschte ein eigentümlicher Geruch, der sie einhüllte und an ihnen haften blieb wie Spinnweben.
»Hier stinkt’s«, bemerkte Harry.
»Geister haben einen Eigengeruch«, sagte Kayla. »Hab ich mal gelesen.«
»Riechen sie nach Scheiße?«, fragte Joey. »Leuchte mal da drüben hin.«
Der Lichtstrahl fiel auf einen Kater und übergoss ihn für einen kurzen Moment mit Gelb. Er schoss davon und verschwand hinter der Theke.
»Muss wohl irgendwo ein Loch in der Mauer sein«, sagte Harry.
»Los, wir fangen sie«, schlug Joey vor. »Schnappen wir uns die Katze.«
»Nein«, sagte Kayla.
»Wozu denn?«, fragte Harry. »Lass doch das arme Viech in Ruhe.«
»Ich mag keine Katzen«, gab Joey zurück.
»Wehe, du tust ihr was«, sagte Kayla. »Wenn du eine Katze quälst, rede ich nie wieder ein Wort mit dir.«
Joey ließ diese Information kurz sacken, während er Kayla betrachtete, die herausfordernd hinter dem kleinen Lichtstrahl stand. Dann wandte er sich vom Tresen ab. »Dieser Gestank, das ist Katzenscheiße. Passt bloß auf, wo ihr hintretet.«
»Gar nicht so einfach«, sagte Harry. »Wir haben nur eine Taschenlampe.«
»Und die hab ich«, sagte Kayla.
Die beiden Jungs schoben sich dichter an sie heran. Harry konnte ihre Haare riechen. Sie dufteten nach irgendeinem blumigen Shampoo. Und sie hatte sich mit einer ordentlichen Dosis Parfüm eingenebelt. Kayla benutzte immer viel zu viel Parfüm, aber er mochte das. Es gab ihm am ganzen Körper ein ganz eigenartiges Gefühl. Er hätte gerne den Arm um sie gelegt, doch er ließ es lieber sein.
»Leuchte mal auf die Jukebox«, sagte Joey.
Kayla schwenkte die Lampe hinüber. Die Schallplatten lagen immer noch hinter der Scheibe. Tatsächlich schwebte noch eine auf der Stapelachse, um jeden Moment nach unten zu fallen.
»Hier wurde sie ermordet, hab ich gehört«, sagte Joey. »Neben der Jukebox.«
»Das kannst du doch gar nicht wissen«, erwiderte Harry.
»Das stand alles in der Zeitung, Harry«, sagte Kayla. »Mein Vater hat’s mir erzählt. Er hat sich auf der Wache mit den Bullen unterhalten, die damals hier waren. Sie haben sie an die Jukebox gelehnt gefunden. Das weiß jeder.«
»Ihr Kopf war fast komplett abgesäbelt«, sagte Joey. »Los, wir gucken nach, ob noch Blut da ist.«
Sie gingen näher heran und leuchteten umher. Das Blut war längst vom Boden und von der Jukebox abgewischt worden, aber es waren noch kleine Flecken an der Wand zu sehen, und die drei erklärten es für Blut, auch wenn es vielleicht keines war.
»Ganz schön stickig hier drin«, sagte Kayla.
»Ja«, stimmte Harry ihr zu. »Und kalt.«
»Ich hab gehört, wenn es irgendwo plötzlich kühl wird, ist ein Geist in der Nähe«, sagte Joey. »Das nennt man eine kalte Stelle, wisst ihr. Hier müsste sie doch sein, oder? Genau in dieser Ecke.«
»Seh ich aus wie ein Geisterexperte?«, fragte Harry. »Woher soll ich das wissen?«
»Hier gibt’s überhaupt keinen Geist«, sagte Kayla.
Joey piekte Harry mit dem Finger in die Seite, und Harry zuckte
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