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Blutiges Echo (German Edition)

Blutiges Echo (German Edition)

Titel: Blutiges Echo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe R. Lansdale
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im medizinischen Sinne, aber es folgt eben nicht den bekannten Gesetzmäßigkeiten.«
    »Gesetzmäßigkeiten?«, fragte Jake.
    »Die Krankheit verläuft nicht wie eine normale Infektion. Aber das Wichtige ist, dass er jetzt wieder hört, und das Schlimmste haben wir offenbar hinter uns. Vielleicht schaue ich mir noch ein oder zwei Dinge genauer an, aber er ist wohl über den Berg. – Hören Sie ihm doch nur mal zu.«
    Harry hatte das Interesse an der Unterhaltung der Erwachsenen verloren, und wie er da so auf dem Rand des Untersuchungstisches saß, hatte er angefangen, ein paar Takte von Old McDonald Had a Farm vor sich hin zu singen.
    Es machte ihm Spaß, weil er seine Stimme wieder auf beiden Ohren hörte.
    Er fand, er klang verdammt gut.
    Sie führten noch mehr Untersuchungen durch.
    Mishman suchte nach einem Tumor.
    Er fand keinen.
    Das Ohr sah gesund aus.
    Doch der Verlauf der Krankheit kam ihm seltsam vor. Mishman konnte nicht genau sagen, was daran seltsam war, aber es fühlte sich nicht ganz korrekt an. Diese ganze Angelegenheit hielt sich irgendwie nicht an die üblichen Regeln. Es war eine medizinische Anomalie.
    Er sollte noch eine Zeit lang über dieses seltsame Phänomen nachdenken, doch dann vergaß er Harry Wilkes und seine Ohrinfektion allmählich. Zugegeben, es war ein bemerkenswerter Vorfall, aber als sich neben seinem sechsten Sinn noch etwas anderes bei ihm regte und er eine Affäre mit einer langbeinigen Arzthelferin anfing, von der seine Frau nichts wissen durfte, nahm das den Großteil seines Denkens und seiner Zeit in Anspruch und ruinierte schließlich irgendwann seine Praxis. Die Arzthelferin ließ ihn sitzen, und alles, was ihm blieb, war die Erinnerung daran, wie sie es am liebsten nackt bis auf die Arzthelferinnenlatschen getrieben hatte.
    Mit einer solchen Erinnerung konnte die seltsame Ohrinfektion eines kleinen Jungen nicht mithalten.

Kapitel 4
    Harry fiel wohl hier und da etwas auf, aber das war alles nicht weiter schlimm, bis er zwölf wurde. Mit zwölf Jahren kam er in die Pubertät, sein Körper produzierte Hormone im Überschuss, und nun war wirklich etwas zu bemerken. Nicht nur die Hormone und ihre drängenden Botschaften, sondern das mit seinem Ohr.
    Sein erstes einprägsames Erlebnis hatte Harry, als er gerade in einem der alten Autos draußen vor dem Haus spielte. Eigentlich durfte er hier gar nicht hin, aber er schlich sich oft hinaus, setzte sich hinter ein quietschendes altes Lenkrad und tat, als könne er Auto fahren. Zuweilen nahm er seinen Freund Joey Barnhouse mit, doch manchmal zog er auch allein los. Meistens sogar. Er hatte festgestellt, dass es ihm nichts ausmachte, allein zu sein. Im Gegenteil. Er konnte sich ausdenken, was immer er wollte, und tun, was immer ihm Spaß machte. Er musste mit niemandem aushandeln, wer wen fangen sollte oder welcher Ninja-Turtle er war, wer Spider-Man und wer den Schurken spielte und so weiter. Oder er konnte sich vorstellen, mit einem Mädchen an seiner Seite herumzukurven, mit Kayla zum Beispiel. Auch sie hatte sich in letzter Zeit verändert, und ihm gefielen diese Veränderungen.
    An diesem Tag also, an dem er einen Vorgeschmack auf das bekam, was ihm bevorstand, war er in den alten 59er Chevy geklettert. Der hatte in den letzten paar Jahren gründlich gelitten. Der Lack blätterte ab, und irgendwer – vermutlich Jugendliche – hatte einen Ziegelstein in die bereits gesprungene Windschutzscheibe geworfen.
    Harrys Vater sagte immer, dass es schön wäre, wenn der Typ, dem das Grundstück nebenan gehörte, dieses ganze Gerümpel verkaufen würde, abschleppen oder verschrotten ließ, was auch immer, Hauptsache, es verschwand aus dem Sichtfeld des Hauses. Aber nichts dergleichen geschah, und Harrys Vater ging der Sache nie weiter nach, denn er fand, dass er dem Kerl ja nicht vorschreiben konnte, was der auf seinem eigenen Stück Land trieb, auch wenn es ihm selbst nicht passte.
    Harry hoffte, dass der Besitzer das Grundstück nie leerräumen würde. Dort konnte man toll spielen.
    Als er diesmal hineinkletterte und die knarzende, rostige Tür kraftvoll hinter sich zuschlug, wurde ihm plötzlich übel. Ein Lärm brach los, als würde jemand mehrere Lagen Alufolie in der Mitte durchreißen, und dann gab es einen Knall, in seinem Kopf blitzte ein Chaos aus Formen und Farben auf, und er schrie.
    Oder irgendjemand schrie.
    Er hörte ihn klar und deutlich, diesen Schrei, aber er konnte sich nicht daran erinnern, überhaupt den Mund

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