Blutinsel
nicht auf der Straße zu landen. Dort wurde sie vom Ehemann der Schwester wie eine zweitklassige Dienstmagd behandelt. Ihre Tochter Diana, damals dreizehn, und der Sohn Dennis, elf Jahre alt, lebten mit ihr in einem kleinen Verschlag im Keller. Morton Benjamin, der Ehemann der Schwester, ging nicht zimperlich mit seinen ungeliebten Gästen um. Er misshandelte die Kinder und zwang Sophia zu einem Leben, das von Arbeit und Enthaltsamkeit geprägt war. Letztlich hielt es Diana nicht mehr aus. Sie lief weg und landete in der Gosse, wo man sie ein paar Wochen später missbraucht und ermordet auffand. Der Täter wurde nie ermittelt. Die Spannungen zwischen Dennis und seinem neuen Ziehvater gipfelten immer mehr in gewaltsamen Auseinandersetzungen, nach denen der Körper des Jungen oft Blutergüsse und Platzwunden aufwies. Irgendwie fühlte er sich dann zur Kirche hingezogen und verbrachte sehr viel Zeit in der nahen Newark Abbey. Mehrmals büxte er aus, wurde jedoch immer wieder von seinem Ziehvater zurückgeholt, dem inzwischen das Sorgerecht für Dennis übertragen worden war. Und jedes Mal bedeutete es neue Wunden, neue Blutergüsse.
» Als ich Sophia kennenlernte, war sie nicht mehr in der Lage, Liebe zu geben. Sie war ausgebrannt. Ich wollte, dass sie zu mir kommt, aber ich glaube, sie hatte sich längst schon aufgegeben. Sie hatte alles verloren, ihren Mann, ihre Tochter, ihr Geld und nun drohte auch noch, dass sie ihren Sohn verlieren würde. Doch sie war zu schwach, um sich zu wehren. Am achtzehnten Geburtstag von Dennis passierte es, Morton Benjamin war wieder einmal betrunken. Er schlug Sophia, weil er der Meinung war, sie hätte ihm Geld gestohlen. Fünf Dollar, um Dennis etwas kaufen zu können. Dennis griff zu einem Hammer und schlug zu. Mortons Kopf platzte wie eine reife Tomate. Es blieb nicht viel davon übrig. Er wurde verhaftet, und man steckte ihn in das Newark State Prison. Zwölf Jahre bekam er. Sophia hat das nie überwunden. Jetzt hatte sie auch noch die letzte Hoffnung in ihrem Leben verloren. Und ich konnte ihr nichts davon ersetzen. Sie hat sich vergiftet. Sie muss einen grausamen Tod gehabt haben. «
» Wissen Sie, was aus Dennis Haywood wurde? « , fragte Brian.
» Ich habe keine Ahnung « , entgegnete Clark. » Man verscharrte Sophia hier in einem Armengrab. Ab und zu kam ich hierher, um das Unkraut zu jäten. Niemand kümmerte sich darum. Es war vor zwei Jahren, als ich das Grab besuchte und ein großer Strauß Rosen darauf lag. Jemand hatte das Unkraut entfernt. Auch auf dem Grab von Dennis’ Schwester, das ein paar Reihen entfernt von hier liegt, hatte jemand Ordnung gemacht. «
» Wissen Sie wer? «
» Ich nehme an, dass es Dennis war. Aber ich bin ihm hier nie begegnet, obwohl ich öfters nach Sophias Grab schaute. Eines Tages war auf dem Grabstein von Diana eine Platte montiert, auf der Kapitän Ronald S. Haywood, died 1971, United in Death geschrieben stand. Dennis muss dafür gesorgt haben. Aber vor einem Jahr etwa waren die Gräber wieder ungepflegt. Ich nehme an, dass Dennis weggezogen ist. Er soll ein paar Jahre beim Militär gewesen sein. Anschließend, so munkelt man, wäre er in die Fußstapfen seines Vaters getreten und zur See gefahren. Mir erschien diese Erklärung plausibel. «
» Sonst war nie jemand hier, Sophias Schwester, Verwandte? «
» Von Verwandten weiß ich nichts und Sophias Schwester war kein einziges Mal hier. Sie starb ein Jahr nach ihrem Tod. Sie liegt auf einem Friedhof im Westen der Stadt. Nicht einmal im Tode wollte sie wohl ihrer Schwester nahe sein. Die Ehe der Mortons blieb kinderlos. Aber vor etwa eineinhalb Jahren saß dort drüben ein älterer Mann auf der Bank, als ich zu Sophias Grab kam. Er sprach mich an und wollte wissen, was aus der Familie geworden sei. Ich fragte den Mann, ob er Sophia kannte, doch er schüttelte nur den Kopf. Er sagte, er habe ihren Mann gekannt, und es wäre eine himmelschreiende Ungerechtigkeit von der Reederei gewesen, ihn für das Unglück verantwortlich zu machen. Aber als ich weiter nachfragte, behauptete er, dass er zufällig vorbeigekommen sei und das Grab entdeckt hätte. «
Brian blickte nachdenklich auf den schmucklosen Stein. Wie viele Sophia Haywoods mochten wohl auf den Friedhöfen dieser Stadt liegen, dachte er bei sich.
» Sie haben nicht zufällig nach seinem Namen gefragt? «
Clark überlegte. » Mein Gott, das ist schon lange her, aber ich glaube, er hieß Glenn Chester oder so ähnlich. Er war
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