Blutinsel
dichten Waldes stolperte ein Mann mit auf dem Rücken gefesselten Händen über einen schmalen Pfad in Richtung Osten. Er war entkommen. Einen Augenblick lang hatten sie nicht aufgepasst, und er hatte die Gelegenheit genutzt und war aufgesprungen und in das nahe Gestrüpp eingetaucht. Die Dornen waren tief in die Haut seines Gesichts gedrungen und hatten blutige Wunden hinterlassen, doch er hatte nicht aufgegeben und war einfach weitergelaufen. Immer tiefer in das Gestrüpp. Nur kurz hatte er einen seiner Peiniger hinter sich gehört.
» Ich knall dich ab! « , hatte der Kerl gerufen, doch das Gebüsch hatte den Verfolger zurückgehalten. Der Kerl hatte die Jagd aufgegeben, war ihm nicht durch die Dornen gefolgt, sondern zurückgeblieben.
Als er das Gebüsch durchquert hatte, lag ein dichter Tannenwald vor ihm. Nur schemenhaft erkannte er die Umgebung, nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Er hetzte voran, auch wenn die Fesseln auf seinem Rücken tief in seine Handgelenke schnitten und er das Blut spürte, das über seine Wangen rann. Er durfte nicht aufgeben. Auch wenn einer von ihnen schwer verletzt war und ihm bestimmt nicht nachlaufen konnte, gab es noch einen zweiten Entführer, der ihn ohne weiteres verfolgen konnte. Und der Kerl hatte eine Waffe und würde sie auch gebrauchen, daran gab es keine Zweifel.
Kurz verharrte er und horchte in die Nacht, doch von seinem Verfolger war nichts mehr zu hören. Er hetzte weiter und sprang über den Stamm eines umgestürzten Baumes. So gut es ging, rannte er durch den Wald, bis er auf einen kleinen Pfad stieß, dem er weiter folgte. Erneut blieb er stehen und lauschte. Motorenlärm drang zu ihm vor. Vorbeifahrende Autos. In der Nähe musste sich eine Schnellstraße befinden. Er versuchte zu orten, woher der Lärm kam, doch in dem dunklen Wald schien es, als würde das Getöse von allen Seiten auf ihn herabstürzen. Er lief weiter auf dem Pfad entlang, bis er zu seiner Rechten vorbeihuschende Lichter erspähte. Der Wald wurde lichter und er verließ den Pfad. Als er weiterging, stolperte er über einen Ast. Er stürzte und schlug hart auf dem Boden auf. Einen Augenblick lang war er versucht, einfach liegen zu bleiben, ehe erneut ein Lastwagen in unmittelbarer Nähe an ihm vorbeidonnerte. Die Lichter verschwanden in der Ferne, dafür fiel das Mondlicht durch die lichten Baumkronen. Er erhob sich und ging weiter, bis er an eine steile Böschung kam, eine breite Straße lag vor ihm. Langsam stapfte er weiter, bis die Böschung abflachte. Nur wenige hundert Meter entfernt erhellte das Licht einer Tankstelle die Nacht. Er mobilisierte seine letzten Kräfte und hetzte weiter. Das Gelände stieg wieder an. Vorsichtig versuchte er die Böschung zu überwinden, doch er geriet ins Straucheln und stürzte erneut.
» Verdammt! « , fluchte er, als er sich oberhalb der Böschung auf den Hosenboden setzte und einfach hinunterrutschte. Unsanft kam er unten auf. Einen Augenblick blieb er liegen, bevor er sich wieder aufraffte und weiterstolperte. Erneut fuhr ein Lastwagen mit hoher Geschwindigkeit an ihm vorbei. Mit letzter Kraft erreichte er endlich das Tankstellengelände. Ein Mann im blauen Overall und mit langem, grauem Bart stand vor einer Zapfsäule und betankte einen Lieferwagen.
» Hilfe … helfen Sie mir! « , stöhnte er, als er auf die Zapfsäule zulief.
Der Mann wandte sich um. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ihn der Bärtige an.
» Um Gottes willen, was ist mit Ihnen passiert? «
» Mein Name ist Caven, ich wurde entführt « , stöhnte er. » Rufen Sie die Polizei, die Kerle sind hier ganz in der Nähe. «
Western Peak, Hell’s Kitchen Island, Maine,
15 . März 2007 , 23 . 30 Uhr (Donnerstag)
Die Henderson-Villa lag unter einer undurchdringlichen Glocke aus aufsteigendem Nebel, der an den steilen Klippen des Western Peak emporkroch. Das Mondlicht war hinter den Wolken verschwunden, die der sanfte Ostwind in Richtung des Festlandes trieb.
Linda Crawford hatte sich früh zu Bett begeben, sie litt an Migräne und war schon den ganzen Tag über unausstehlich gewesen. Nathan Cole lag auf der weißen Ledercouch und starrte auf das Satellitenfernsehen, wo das Spiel der Detroit Red Wings gegen die Vancouver Canucks übertragen wurde. Der Fernseher war seine einzige Verbindung zur Außenwelt, und er hoffte, dass der März endlich vorüberging und sich Linda davon überzeugen ließ, ihr neues Buch erst einmal bis zum nächsten Jahr
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