Blutjägerin (German Edition)
öffnete Gerald die Tür zu Sophies Villa, trug sie hinein und stieg die Stufen hinauf, wo er sie in das einzig bewohnte Schlafzimmer des Hauses brachte. Wie zerbrechliches Porzellan legte er sie aufs Bett, strich über ihr Gesicht und fühlte sich hilflos. Sie schlief tief und fest.
Die Stichwunde an ihrem Hals war feuerrot und entzündet. Er berührte die Stelle, versuchte, sie mithilfe seiner telekinetischen Fähigkeiten zu heilen. Doch es funktionierte nicht. Überhaupt wirkte sie seltsam anders seit dem Moment, als er sie aus Jonathans Dachkammer gebracht hatte. Sie war noch immer die Frau, die er liebte, deren Duft und Ausstrahlung ihn um den Verstand brachten. Doch etwas an ihr hatte sich verändert. Es schien, als befinde sich ihr Körper in einer Wandlung, einer Metamorphose. Was zum Teufel hatte Jonathan mit ihr angestellt?
Im Laufe seines 220-jährigen Daseins hatte er an vielen Ritualen der Metamorphose teilgenommen und wusste, was im Moment der Wandlung geschah. Dies hier war keine gewöhnliche Veränderung des menschlichen Körpers, bei der die DNS eines Vampirs von der des Menschen Besitz ergriff und diese dann verwandelte. Der Körper des Menschen stellte normalerweise die Produktion der roten Blutkörperchen ein und mit der Metamorphose wuchsen auch die körperlichen Merkmale, die einen Vampir von einem Menschen unterschieden. Sophie wies nichts von dem auf. Ihr Blut schien noch das eines Menschen zu sein, ebenso ihre Pupillen und die Zähne.
Stattdessen begann Sophies menschliche Aura zu verblassen wie ein Regenbogen am sonnigen Himmel und ging in etwas über, das er nicht deuten konnte. Es war weder menschlich noch von seiner Rasse. Kein Halb- oder Reinblüter, auch keine Form von Bastard oder Assassine, sondern etwas, das zwischen allem lag, als habe der Vorgang der Metamorphose begonnen und dann einfach aufgehört, ehe er vollendet war.
Gerald war unfähig, zu sagen, was geschah oder wie sie reagieren würde, wenn sie erwachte. Er konnte sie hier und jetzt nicht allein lassen, obwohl er eigentlich nach Clement suchen sollte. Gerald haderte mit seiner telepathischen Fähigkeit, die nicht stark genug war, um Clement mit der Kraft seiner Gedanken zu suchen.
Ein Brennen in den Schläfen unterbrach ihn. Er schloss die Augen, konzentrierte sich auf die Stimme, die ihn rief.
„Es tut mir leid, Gerald. Die Taucher waren erfolglos. Sie glauben, dass die Strömung ihn hinaus in die Lagune getragen hat.“
Alexandres Worte explodierten wie eine Abfolge von Schlägen in seinem Gesicht, verdeutlichten, dass er Clement für immer verloren hatte. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie er in den Kanal gestürzt war, nachdem ihn der Assassine schwer verwundet hatte. So sehr er auch hoffte, es war nahezu unmöglich, selbst für einen Vampir, so etwas zu überleben.
Erschöpft sank er auf einen Stuhl. Er zitterte am ganzen Leib, vor Zorn auf sich selbst. Jeder Muskel und jede Faser spannte sich, während die Trauer über ihn hereinbrach, schwer wie ein Gewitterregen. Er sog die Luft ein, versuchte, gegen den Schmerz des Verlustes anzukämpfen, doch zum ersten Mal in seinem Leben spürte er Tränen seine Wangen hinunterlaufen. Heiß wie Tropfen aus geschmolzenem Metall. Es war ihm egal, ob Clement nur halbblütiger Abstammung war oder nicht. Er war sein Bruder und nur das zählte.
Nun war er der Letzte seines Clans.
Ein unterdrücktes Schluchzen bahnte sich den Weg in Sophies Geist. Es dauerte einige Sekunden, bis sie wusste, wo sie war. Hitze floss durch ihre Adern und sie fühlte sich auf seltsame Weise verändert, als arbeiteten ihre Sinne mit enormer Schärfe.
Als sie ihren Kopf zur Seite drehte, saß Gerald auf einem Sessel, die Hand vor seinen Augen. Er litt. Sie wusste nicht, was geschehen war, aber sein Schmerz tat ihr weh.
Vorsichtig stand sie auf, sank vor ihm in die Knie, berührte seine tränenfeuchte Wange. Nie hätte sie geglaubt, dass ein Vampir zu derartigen Gefühlen imstande war. Nicht, nachdem sie diese Wesen für Bestien und Parasiten gehalten hatte, die kein Recht zu leben hatten. Doch hier saß Gerald vor ihr und weinte.
Stumm sah er sie an. In seinen dunklen Augen lagen Schmerz und Trauer. Dennoch zwang er sich zu einem Lächeln und löste die Eisenklammer um ihr Herz. Sie umfasste sein Gesicht mit beiden Händen, küsste ihn auf die Lippen, in der Hoffnung, sie könne ihm etwas von dem Kummer nehmen, der ihn quälte.
„Was ist geschehen?“, fragte sie, schaute tief in
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