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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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angefangen.«
    »Sie alle?«
    »Genug von ihnen jedenfalls.« Sie wischte die Flaschenöffnung sorgfältig ab und achtete darauf, nur einen kleinen Schluck zu nehmen. Sie wusste, wie leicht ein Schluck zum nächsten führte, mehrere zu einer ganzen Flasche und eine Flasche schließlich leicht dazu, dass man, wenn man aufwachte, nach Pisse stank und mit einem Bein im Bachbett lag. Es gab Leute, die sich auf sie verließen, und sie hatte genug davon, eine Enttäuschung zu sein.
    Die Streithähne waren inzwischen getrennt worden und spuckten einander nun in ihren jeweiligen Sprachen Beleidigungen entgegen, die zwar vom Gegenüber nicht im Wortlaut entschlüsselt, aber trotzdem grundsätzlich verstanden wurden. Offenbar war die Spitzhacke in dem ganzen Durcheinander verschwunden; vermutlich hatte ein weniger begriffsstutziger Pionier sie beherzt eingesteckt, während aller Augen anderswohin blickten.
    »Ganz sicher kann Gold die Leute verrückt machen«, brummte Weh so wehmütig, wie sein Name nahelegte. »Aber trotzdem, wenn sich der Boden unter mir auftäte und das gute Zeug direkt vor meiner Nase läge, dann würde ich die Goldklumpen wahrscheinlich auch nicht liegen lassen.«
    Sie dachte an den Hof, an die viele Arbeit, die zu tun war – Arbeit, für die sie niemals genug Zeit hatte –, und rieb sich mit den rauen Daumen die wund gekauten Finger. Für einen winzigen Augenblick schien eine Reise in die Berge doch keine so verrückte Idee. Was, wenn es da oben wirklich Gold gab? Wenn es dort in irgendeinem Bachbett in unfassbarer Fülle herumlag und nur darauf wartete, von ihren juckenden Fingerspitzen geküsst zu werden? Scheu Süd, die glücklichste Frau in ganz Naheland …
    »Ha.« Sie verscheuchte den Gedanken wie eine lästige Fliege. Große Hoffnungen waren ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnte. »Meiner Erfahrung nach tut sich der Boden aber nicht einfach auf und gibt seine Schätze preis. Da ist er genauso geizig wie wir alle.«
    »Du hast wohl jede Menge, was?«
    »Hä?«
    »Erfahrung.«
    Sie zwinkerte, als sie ihm die Flasche zurückgab. »Mehr, als du dir vorstellen kannst, alter Mann.« Verdammt mehr als die meisten Pioniere jedenfalls, das stand mal fest. Scheu schüttelte den Kopf, als sie den nächsten Schwung Leute erblickte, hochwohlgeborene Unionisten, augenscheinlich eher für ein Picknick gekleidet als für einen anstrengenden, viele Meilen langen Marsch durch ein Land, in dem es kein Gesetz gab. Leute, die mit ihrem bequemen Leben hätten zufrieden sein sollen, die aber plötzlich den Entschluss gefasst hatten, sich noch mehr sichern zu wollen. Sie fragte sich, wie lange es dauern würde, bis diese Menschen wieder in die andere Richtung humpeln würden, kaputt und pleite. Wenn sie es denn überhaupt noch schafften …
    »Wo steckt eigentlich Gully?«, fragte Weh.
    »Auf dem Hof. Der kümmert sich um meinen Bruder und meine Schwester.«
    »Hab ihn schon lange nicht mehr gesehen.«
    »Er war auch schon lange nicht mehr hier. Meint, dass ihm das Reiten wehtut.«
    »Der wird alt. Aber so geht’s uns allen. Wenn du ihn siehst, sag ihm, dass ich ihn vermisse.«
    »Wenn er hier wäre, hätte er dir die Flasche in einem Zug ausgesoffen, und du würdest jetzt seinen Namen verfluchen.«
    »Stimmt.« Weh seufzte. »So ist das wohl mit Sachen, die einem fehlen.«
    Inzwischen bahnte sich Lamm einen Weg durch die Menschenflut auf der Straße, und sein grauer, wilder Schopf ragte trotz seiner gebeugten Haltung über die Köpfe der anderen; er sah so aus, als ob ein noch größeres Gewicht auf seinen Schultern lastete als sonst.
    »Was hast du gekriegt?«, fragte sie und sprang vom Wagen.
    Lamm verzog das Gesicht, als wüsste er schon, was nun kommen würde. »Siebenundzwanzig?« Seine tiefe, grollende Stimme ging am Wortende ruckartig in die Höhe, um eine Frage daraus zu machen, die eigentlich lautete: Wie schlimm habe ich es denn vergeigt?
    Scheu schüttelte den Kopf, spielte mit der Zunge in der Innenseite ihrer Wange und zeigte damit an, dass es ihrer Meinung nach irgendwo zwischen mittel und schlimm lag. »Du bist echt so ein blöder Feigling, Lamm.« Sie klopfte auf die Säcke, sodass eine kleine Wolke Kornstaub aufstieg. »Ich habe die doch keine zwei Tage lang bis hierher geschleppt, damit du sie verschenkst.«
    Er blickte noch ein wenig besorgter drein, und sein graubärtiges Gesicht knitterte rund um die alten Narben und Lachfältchen, wettergegerbt und mit Dreck zugesetzt. »Ich kann nicht

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