Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
des Sonnenkönigs. In Almerika dringen Pioniere aus Sangland immer weiter ins Grenzgebiet einer Welt vor, die von Ureinwohnern beherrscht wird, welche als halb tierische Krieger beschrieben werden. Die Geschichten werden immer fabelhafter, und ich will sie alle sehen. Der Wanderzirkus bietet immer noch die beste Zuflucht vor Politik und Vorurteilen. Aber indem wir Goodwill aufgehalten haben, haben wir dazu beigetragen, Sang zu einem besseren Ort zu machen, und ich denke, beide Welten sind ohne ihn besser dran.
Und ich weiß das, weil ich in beiden Welten lebe. Solange ich kann.
Tagsüber kümmere ich mich um meine Großmutter und tue mein Bestes, um ihr die verbleibende Zeit auf Erden voll Wärme, Liebe und Bequemlichkeit zu gestalten. Wir spielen Rummy, und ich versuche sie dazu zu überreden, dass sie mir das Rezept für ihren berühmten Schokoladenkuchen verrät. Ich betreue meine anderen Patienten, alle außer Mr Sterling. Ich konnte es nicht über mich bringen, noch einmal sein hübsches Stadthaus zu betreten und diesen schönen, dahinvegetierenden Körper zu berühren. Ich konnte die Schuldgefühle nicht ertragen, zu wissen, dass ich ihm alles hätte geben können, von dem er dachte, dass er es wollte. Ich hatte es in der Vision gesehen, und auch wenn ich mit der Idee gespielt hatte, mich für ihn zu entscheiden, so hatte ich doch immer gewusst, dass es nicht dazu kommen würde. Er hat den Wanderzirkus verlassen und ist nach London gegangen, und die Zeitungen schreiben, er sei der begehrteste Junggeselle in der Stadt. Meine eigene Vision sagt mir, dass er noch immer eine Reise vor sich hat, aber wenn er die richtigen Noten spielt, wird er bald selbst die Liebe finden.
Was mich angeht, so verbringe ich meine Tage als Krankenschwester normal und zufrieden. Aber ich warte den rechten Augenblick ab.
Nachts, wenn ich träume, trage ich ein burgunderrotes Taftkleid, das bis zum Kinn geschnürt ist. Ich sage die Zukunft voraus und bekomme dafür Kupferpennies und Phiolen mit Blut. Ich lache mit der Schwertschluckerin und ermuntere den Echsenjungen, weiter zu trainieren. Ich schlafe in einem scharlachroten Wohnwagen, in einem Bett mit Seidenwäsche, mit einem schönen Medaillon unter meinem Kissen. Und neben mir schläft mein eigener, ganz persönlicher Vampir, oder das, was dem am nächsten kommt.
Manchmal ist das alles, was ich tue. Was ich bin. Und ich weiß, dass in der anderen Welt die Zeit still steht, dass ich für immer in Sang und in Criminys Armen bleiben könnte. Doch dann sehe ich in der Menge eine alte Frau, und ich berühre mein Gesicht und fühle die neuen Falten dort. Oder ich halte sanft eine runzelige Hand, um ein düsteres Schicksal darin zu lesen, und ich erinnere mich daran, dass meine Großmutter mich braucht.
Und später in jener Nacht steckt Criminy mich dann in einen speziell angefertigten, gut belüfteten Kasten in seinem Wohnwagen. Er küsst mich sanft und schenkt mir seine Liebe und nennt mich seine Königin der Fahrenden.
Und dann schließt er die Tür und sperrt den Kasten ab, mit einem Schlüssel, den er an einer Kette unter seiner gelösten Krawatte trägt. Er platziert eine kleine Kupferschlange mit Namen Boros auf dem Deckel, und die rubinroten Augen der kleinen Kreatur werfen unheimliche Lichter an die Wände, während sie sich immer wieder dreht und über mich wacht. Ich mache das innere Schloss zu. Und ich schlafe fast sofort ein.
Und dann öffne ich die Augen für mein anderes Leben und nehme das Medaillon für eine Weile ab.
Ich habe meine Wahl getroffen, und fürs Erste habe ich beide Welten gewählt. Und ich bin glücklich damit.
Bis auf eine Sache, die da in den Tiefen meiner Gedanken lauert, wie eine Bludratte, die darauf wartet, sich auf einen nichts ahnenden Schlafenden zu stürzen. In Sang träume ich stets denselben Traum, wenn das Medaillon unter meinem Kissen liegt und ich mich an meinen geliebten Bludmann kuschle. Immer wieder, ungebeten, erscheint meine Vision von Criminys Schicksal in meinem Kopf und quält mich, ein Geheimnis, das zu ergründen er vergessen hat.
Bisher sind meine Visionen alle eingetroffen.
Alle, bis auf diese eine.
Bis jetzt.
Deshalb ist das Erste, was ich jeden Morgen tue, wenn ich neben Criminy aufwache, meine Hände anzuschauen. Mit dem Wissen, tief in meinem Herzen, dass sie eines Tages mit schwarzen Schuppen und Blut bedeckt sein werden.
Genau wie seine.
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Die Amerikanerin Delilah S. Dawson hat nach
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