Blutlust
Party ein wenig seiner Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
Doch dazu musste ich erst einmal den Club finden, in dem ›Die Nacht der Vampire‹ stattfand.
Die Gegend sah alles andere als einladend aus. Die Häuser an der menschenleeren Straße, die weg vom Washington Square Park zu der auf dem Flyer angegebenen Adresse führte, waren dunkel und still. Nur jede dritte oder vierte der schmutzigen Straßenlaternen funktionierte. Von anderen Studenten keine Spur. Hatte ich mich etwa schon wieder verlaufen?
Dem Stadtplan nach musste es irgendwo in der Nähe des Hafens sein. Ich konnte Schiffsmotoren hören, doch das musste nicht unbedingt etwas heißen. Die halbe Stadt war von Wasser umgeben oder durchzogen. Allerdings stimmte der Straßenname, also setzte ich meinen Weg fort.
Wohl fühlte ich mich dabei nicht. Es wirkte alles so verlassen, ganz so, als hätte irgendetwas das Leben, das hier um die Universität herum geradezu brodelte wie auch sonst überall in New York, vertrieben. Mit Ausnahme der Schiffsmotoren war es totenstill, und ich schaute mich alle paar Schritte nervös um. Zu Hause hatte es mir nie etwas ausgemacht, eine verlassene Straße entlangzulaufen. Hier war das anders. Die Gegend machte mir Angst. Aber ich wollte nicht zulassen, dass sie mir Angst machte. Ich wollte hier studieren, ich wollte hier leben. Deshalb nahm ich mich zusammen und ging weiter.
Da huschte etwas vor mir durch die Schatten!
Ich zuckte zusammen.
Ich hatte es mehr aus den Augenwinkeln heraus gesehen und konnte es aber zwischen Müllcontainern und Autowracks nicht richtig erkennen. Es bewegte sich schnell und lautlos. Ich stand starr vor Schreck und hielt den Atem an. Meine Augen suchten angestrengt die Dunkelheit vor mir ab.
Da! Noch einmal nahm ich etwas wahr. Etwa zwanzig Meter vor mir. Es war kleiner als ein Mensch, und soweit ich das bei der Schnelligkeit, mit der es sich bewegte, beurteilen konnte, lief es auf vier Beinen … von Deckung zu Deckung. Dann war es verschwunden.
Ich lauschte in die Stille hinein. Nichts.
Ich wartete. Immer noch nichts.
Noch etwa eine Minute lang stand ich regungslos da. Als ich es dann immer noch nicht wieder sah, begann ich, mich über mich selbst zu ärgern. Es war vermutlich einfach nur ein herrenloser Hund gewesen. Nichts, wovor man Angst haben muss.
Trotzdem blieb ich wachsam, als ich weiterging. Besonders, als ich die Stelle passierte, bei der ich es gesehen hatte. Aber da war nichts mehr.
Das nächste Mal würde ich mir ein Taxi leisten, schwor ich mir. So ging ich noch eine gefühlte Ewigkeit weiter, bis ich endlich die Adresse erreichte. Es war ein altes, verlassenes Fabrikgelände. Noch trostloser und einsamer als die Straße.
Zwischen hohen, brüchigen Ziegelmauern hing ein rostiges, verbogenes Tor aus den Angeln. Es roch nach altem Maschinenöl, Unrat und dem nahen Hafen. Der Dresscode auf der Einladung lautete »Abendgarderobe oder Kinky Outfits«. Ich hatte mich daran gehalten, trug das einzige Abendkleid, das ich besaß, und fühlte mich jetzt außer angespannt auch noch fürchterlich overdressed.
Zum Glück hatte ich die dazu passenden Schuhe in einer Tasche dabei und trug für den Weg meine Chucks. Auf dem alten Kopfsteinpflaster hätte ich in hohen Absätzen niemals laufen können, und der Boden war obendrein so schmutzig, dass ich mir die Schuhe mit Sicherheit ruiniert hätte. Nur der Wunsch, so schnell wie möglich Kommilitonen kennenzulernen und Freundschaften zu schließen, hinderte mich daran, nun doch kehrtzumachen und in meine Bruchbude zurückzufahren.
Kaum war ich durch das Tor geklettert, hörte ich auch endlich von irgendwo weit vor mir das dumpfe, gleichmäßige Geräusch von Bässen. Musik. Also war ich wenigstens richtig. Vor mir ragten die Ruinen alter Backsteinhallen in den Nachthimmel. Die meisten der großen Strebenfenster waren eingeschlagen. Es wunderte mich, dass es bei den hiesigen Grundstückspreisen mitten in New York ein derart riesiges, schon so lange verlassenes Gelände gab – und dass sich immer wieder Menschen fanden, die eine solch verrottete und gruselige Umgebung ideal für eine Party oder einen Club hielten.
Ich folgte dem Geräusch der Bässe geradeaus, aber es fiel mir schwer zu unterscheiden, was nun das Wummern der Musik war und was das immer lautere Schlagen meines Herzens.
Der Weg führte mich in eine schmale Gasse zwischen zwei der Hallen. Hier war es noch dunkler als auf dem Weg, und es war eine echte Herausforderung,
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