Blutmaske
einen Hinweis auf das Geschehen der Nacht zu erhalten, aber es fanden sich keinerlei Spuren.
Der Nebel, der ihr gestern Nacht so viel Angst bereitet hatte, war bis auf eine kleine hartnäckige Bank neben dem Unterstand verschwunden.
Als sie zu den Felsen schaute, sah sie eine regungslose Männergestalt unter dem Vorsprung stehen, die ihnen nachschaute. Auf dem Kopf trug der Mann ein merkwürdiges Gebilde, das einem gewaltigen Knäuel glich, doch wegen des Schattens erkannte sie nicht, worum es sich handelte. Ein Turban? Darin funkelte es gelegentlich auf, ein dunkelblaues Schimmern nahm sie gefangen.
Jitka sah zu Martin. »Siehst du den Mann?«
»Wo denn?« Der Großknecht drehte den Kopf. »Ich sehe niemanden, Kleine.«
»Aber er ist da drüben, bei den Steinen! Er …« Jitka suchte die Umgebung mit ihren Blicken ab. Die Gestalt war verschwunden und mit ihr das geheimnisvolle Funkeln.
Sie fröstelte und richtete ihre Augen auf den holprigen Weg, in den sie abbogen. Hatte sie soeben einen Blick auf den Upir erhascht? Jitka nahm das Beten wieder auf und flehte darum, bald wieder nach Hause gehen zu dürfen. Zusammen mit ihrer Mutter.
Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie sich gewünscht, Abenteuer zu erleben und neue Dinge zu sehen. Was ihr der vergangene Tag und die vergangene Nacht gebracht hatten, war zu viel davon gewesen.
Judassohn
Theresia Sarkowitz, genannt Sia, ein »Kind des Judas«, uralt und ewig jung. Sorgfältig getarnt wacht sie über ihre Nachkommen, eine unschuldige junge Frau und ihr Kind, damit diese nicht dasselbe Schicksal erleiden wie sie – einst als Untote wiederauferstehen zu müssen. Doch dann taucht eine Gestalt auf, die seit Jahrhunderten nach Sia sucht. Eine Gestalt, deren Kräfte ausreichen, sie zu töten. Und die voll Rachedurst ist…
Leseprobe
Lamento I
Ich habe mir alles genommen, mich selbst darum gebracht.
Kein Raubtier vermag solche Wunden zu schlagen und so zu verstümmeln wie ich. Mein Glück ist unwiederbringlich verloren. Zerfetzt.
Das Schöne, Gute und Klare in meinem Unleben existiert nicht mehr.
Doch bin ich schuldlos an dem, was ich tat.
Denn mein Handeln unterlag nicht meiner Kontrolle. Mein Wesen veränderte sich zweifach, mit jedem meiner Tode.
Aber ich kenne die Frau, die Verantwortliche, die wahre Täterin, die mich zum Opfer dieser Mächte werden ließ, anstatt mich davor zu bewahren.
Jetzt habe ich sie gefunden.
Endlich gefunden!
Und ich werde ihr rauben, was ihr am Herzen liegt, damit sie mein Leid nachempfindet!
Bevor ich auch sie auslösche …
Praeteritum
8 . 1 . 2008 , Deutschland, Sachsen, Leipzig, 1 . 45
E in ostdeutscher Winter konnte kalt sein.
Sehr kalt.
Der Himmel zeigte sich sternenklar, ein eisiger Wind schoss durch die Straßen und wirbelte den frisch gefallenen Schnee umher.
Bis vor ein paar Tagen hätte kein Leipziger wirklich daran geglaubt, dass die Temperaturen derart fallen würden.
Von wegen Klimaerwärmung. Da wünscht man sie sich ja sogar.
Sia schob den Handschuh einen Fingerbreit nach unten und blickte auf die Armbanduhr. »Noch fünfzehn Minuten«, sagte sie zu Jochen, ihrem Kollegen.
Sie standen an der Treppe, die hinunter in den Innenhof der Moritzbastei führte, und passten gemeinsam auf, dass nur halbwegs nüchterne und friedlich wirkende Besucher in das unterirdische Backsteingemäuer gelangten.
Die alten Gewölbe waren als Einziges von der Festung übrig geblieben. Die Gastronomie hatte Einzug gehalten und die verwinkelten Räume mit ihren urigen Verbindungsgängen zu einem äußerst beliebten Platz gemacht. Alle möglichen Veranstaltungen fanden darin statt. Dass die Anlage einst der Verteidigung hatte dienen sollen, war in Vergessenheit geraten. Niemand, der sich auf den Tanzflächen dem Takt der Musik hingab oder biertrinkend in einer Nische saß, dachte an Belagerungen, an Krieg und Tod.
So ändern sich die Zeiten.
Sia hatte sowohl den Zeiten als auch den Menschen beim Ändern zugeschaut.
Der heftige Wind rüttelte an den Verkehrsschildern, die einige Meter entfernt standen. Plastikplanen an den Gerüsten der nahen Baustelle flatterten laut, krachend fiel eine Signalbarke um.
Muss es so kalt sein?
Der Heizpilz, unter dem sie standen, spendete zischelnd und fauchend ein Quentchen Wärme. Sia schaute nach oben. Das Metall um die unzähligen Gasflämmchen glühte.
Man könnte meinen, dass sie aufgeben wollen.
»Du kannst gehen«, bot Jochen ihr an. »Da kommt heute niemand
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