Blutmaske
schaltete das Licht an und legte sämtliche Wertsachen zurück in den Tresor. Als Letztes deponierte er die Maske wieder in ihrem Fach, obwohl er sie nur widerwillig noch einmal anfasste. Gegen das Schauern vermochte er sich auch diesmal nicht zu wehren.
Er konnte das Ding nicht ausstehen und würde sie bald in eine kleine Kiste auf irgendeinen Dachboden verbannen. Ideeller Wert hin oder her. Harm Byrne war tot, und diese Maske wollte Wilson auf keinen Fall in seiner unmittelbaren Nähe wissen.
Auf einen Anruf bei der Polizei verzichtete er. Er bedurfte keines weiteren Aufsehens. Harm Byrne und alles, was mit ihm im Zusammenhang stand, sollten ruhen.
Einschließlich der Maske.
Ritus
Frankreich im Jahre 1764.
Die Menschen leben in Angst und Schrecken – denn ihre Kinder werden gehetzt und getötet. Was ist das für eine Bestie, die kein Jäger stellen kann? Unter den vielen Männern, die sich auf die Jagd begeben, ist auch der Wildhüter Jean Chastel.
Er selbst birgt ein dunkles Geheimnis – und niemand ahnt, dass der gnadenlose Ritus der Bestie auch zweihundert Jahre später noch Opfer fordern wird…
Leseprobe
I. KAPITEL
18. April 1764, nordöstlich von Langogne,
westliche Ausläufer des Vivarais-Gebirges, Südfrankreich
M it einer monotonen Melodie gluckerte der Bach über die
runden Steine. Die Abendsonne fiel durch die wenigen
lichten Stellen des dichten Blätterwerks der Bäume und erzeugte
goldenrote Flecken auf dem schattigen Waldboden.
Insekten waren auf der Suche nach Nahrung und summten
durch die warme Luft. Der verführerische Duft leitete sie. Es
roch nach Frühling, nach neuem Leben. Und nach Verwesung.
Die Fliegen schwirrten aufgeregt zu dem dicken unteren Ast
einer mächtigen Buche, an dem ein stinkender Schafskadaver
zwei Schritte über der Erde an einer Kette hing. Unmittelbar
darunter baumelte eine höchst seltsame, tote Kreatur.
»So etwas … habe ich noch niemals gesehen.« Jean Chastel,
ein Mann Mitte fünfzig und von Kindesbeinen an Wildhüter,
trat vorsichtig näher und stieß den Fang mit der Mündung
seiner doppelläufigen Muskete an. In seinem glatt rasierten,
kantigen Gesicht standen Entsetzen, Unglaube und höchste
Aufmerksamkeit. Das merkwürdige Tier, das an der Wolfsangel
gefangen hing, kannte er nur aus Erzählungen und von
den Flugblättern fahrender Schauspielertruppen. Diese Erzählungen
und die dazugehörigen Zeichnungen waren alles andere
als beruhigend.
Das wolfsartige Tier rührte sich nicht.
Jean meinte, einen schwarzen Streifen auf dem Rücken zu
erkennen, der sich vom Kopf bis zum dünnen Schwanz zog.
Das Fell selbst war dunkel und ging ins Rötliche über. Die
Klauen, doppelt so groß wie eine Frauenhand, beeindruckten
ihn fast am meisten. Wenn da nicht die Reißzähne gewesen
wären …
Es hatte sich den Köder durch einen beherzten Sprung holen
wollen. Der im verrottenden Schaf verborgene Fleischerhaken
war ihm zum Verhängnis geworden: Das spitze Metallende
ragte aus der blutverkrusteten Schnauze heraus und bog den
großen Kopf nach oben. Dadurch hatten sich die gewaltigen
Kiefer, die einen Oberschenkelknochen durchbeißen würden,
geöffnet und die Fangzähne von der Länge eines Mittelfingers
preisgegeben.
Es raschelte, als sein jüngerer Sohn Antoine neben ihn trat.
»Ein Männchen«, sagte er, als sähe er eine derartige Kreatur jeden
Tag. Trotz seiner zwanzig Jahre wirkte er noch sehr jung,
und sein kurzer, dunkler Bart änderte daran nichts. Im Gegensatz
zu seinem Vater zeigte er sich von der Entdeckung
unbeeindruckt. Er hatte nicht einmal Angst. Sein Geschäftssinn
erkannte sogleich die Vorzüge. Er zückte grinsend seinen
Jagddolch und deutete auf die Geschlechtsteile des nun sachte
hin und her pendelnden Wesens. »Seine Eier werden uns beim
Arzneihändler einen Haufen Geld bringen.«
Jean, dem die Sache noch immer nicht geheuer schien,
packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. Der kurze, weiße
Zopf hüpfte auf dem Rücken. »Bleib zurück!« Er wartete auf
ein Zucken des Kadavers, das auf Leben hindeutete. Als es
ausblieb, öffnete er die Hand und gab Antoine frei. »Lass sie
ihm. Das sollen sich Gelehrte anschauen, bevor wir es auseinanderschneiden.«
Das Knistern von trockenem Laub verriet das Nahen eines
weiteren Mannes. Die Jäger der Familie Chastel waren vollständig
versammelt. »Beim Allmächtigen!«, entfuhr es dem
älteren Sohn Pierre. Er glich seinem Vater sehr, nicht nur
äußerlich. Verstört betrachtete er das Tier
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