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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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davon
einnimmst!«
    Edward sah Vergil den Parkplatz überqueren und in seinen
Volvo steigen. Dann wandte er sich langsam um und ging zurück
zum Frankenstein-Flügel. Er goß einen Kubikzentimeter von
Vergils Blut in eine Ampulle und mehrere Kubikzentimeter Urin in eine
andere und tat beide in das Analysegerät für Gewebeproben
und Serum. Am Morgen würde er die Resultate am
Datenanschluß seines Büros abfragen können. Die
Stuhlprobe erforderte manuelle Arbeit, aber das konnte warten; im
Augenblick fühlte er sich mehr tot als lebendig. Es war zwei Uhr
früh.
    Er zog ein Feldbett heraus, löschte das Licht und legte sich
in seinen Kleidern nieder. Er verabscheute es, im Krankenhaus zu
schlafen. Wenn Gail am Morgen erwachte, würde sie im Telefon
eine gespeicherte Nachricht vorfinden – eine Nachricht, aber
keine Erklärung. Er fragte sich, was er ihr sagen sollte.
    »Ich werde bloß sagen, daß es der gute alte
Vergil war«, murmelte er.

 
10
     
    Edward rasierte sich mit einem alten geraden Rasiermesser, das er
für solche Notfälle in seiner Schreibtischschublade
verwahrte, betrachtete sich im Spiegel des Umkleidezimmers für
Ärzte und rieb sich kritisch die Wange. Er hatte das
Rasiermesser während seiner Studentenzeit regelmäßig
benutzt: eine Affektiertheit. Seit damals hatte sich selten eine
Gelegenheit ergeben, und sein Gesicht zeigte es: drei Schritte, die
er mit blutstillendem Stift und Zellstoff behandelt hatte. Er blickte
auf die Armbanduhr. Die Batterie war im Begriff, sich zu verausgaben,
und die Ziffern waren matt. Er schüttelte sie ärgerlich,
und die Darstellung wurde klarer: 6.30 Uhr. Gail würde schon auf
sein und die Vorbereitungen für die Schule treffen.
    Er steckte zwei Vierteldollarstücke in den Münzautomaten
des Aufenthaltsraums für Ärzte und fummelte mit den
Bleistiften und Kugelschreibern in der Brusttasche, während er
wartete.
    »Hallo?«
    »Gail, Edward. Ich liebe dich, und es tut mir leid.«
    »Am Telefon erwartete mich eine entkörperlichte Stimme.
Sie könnte meinem Mann gehört haben.« Sie hatte eine
angenehme Telefonstimme, die er immer bewundert hatte. Nachdem er
ihre Stimme am Telefon einer gemeinsamen Freundin gehört hatte,
war er, ohne sie je gesehen zu haben, so entzückt gewesen,
daß er sie um eine Verabredung gebeten hatte.
    »Ja, nun…«
    »Übrigens rief Vergil Ulam vor ein paar Minuten an. Er
hörte sich besorgt an. Ich habe seit Jahren nicht mit ihm
gesprochen.«
    »Sagtest du ihm…«
    »Daß du noch im Krankenhaus seist? Natürlich. Dein
Dienst beginnt heute um acht?«
    »Wie gestern. Zwei Stunden mit vorklinischen Semestern im
Labor und sechs in Bereitschaft.«
    »Auch Mrs. Burdett hat angerufen. Sie schwört, der
kleine Tony oder die kleine Antoinette pfeife. Sie könne ihn/sie
hören.«
    »Und deine Diagnose?« fragte Edward lächelnd.
    »Blähungen.«
    »Hochdruck, würde ich sagen«, fügte er
hinzu.
    »Muß Dampf sein«, sagte Gail. Sie lachten, und
Edward fühlte, wie der Morgen Realität gewann. Die
schädlichen Nebel der nächtlichen Phantasie hoben sich, und
er war am Telefon und sprach mit seiner Frau, scherzte über
musikalische Embryonen. Das war normal. Das war Leben.
    »Heute abend gehe ich mit dir aus«, sagte er. »Ein
Heisenberg-Abendessen.«
    »Was ist das?«
    »Ungewißheit«, antwortete er munter. »Wir
wissen, wohin wir gehen, aber nicht, was wir essen werden. Oder
umgekehrt.«
    »Hört sich wundervoll an. Welcher Wagen?«
    »Der Quantum, natürlich.«
    »Ach du lieber Gott. Wir haben gerade den Tachometer richten
lassen.«
    »Und die Lenkung ist ausgeschlagen?«
    »Pst! Sie funktioniert noch.«
    »Bist du böse auf mich?«
    »Hm. Wenn Vergil heute wieder etwas von dir will, soll er
gefälligst während der Bürostunden kommen. Warum ist
er überhaupt gekommen? Geschlechtsveränderung?« Der
Gedanke brachte sie zum Lachen, und sie fing an zu husten. Er stellte
sich vor, wie sie den Hörer vor sich hielt. »Tschuldige!
Wirklich, Edward. Warum?«
    »Ärztliche Schweigepflicht, mein Liebes. Ich bin
übrigens selbst nicht ganz sicher, ob ich es weiß.
Vielleicht später.«
    »Muß jetzt gehen. Sechs Uhr?«
    »Vielleicht halb sechs.«
    »Da werde ich noch Hefte korrigieren.«
    »Ich werde dich fortreißen.«
    »Köstlicher Edward!«
    Er machte einen unfeinen Schmatz in den Hörer, bevor er
auflegte. Dann zupfte er den Zellstoff von seiner Wange, schritt zum
Aufzug und ließ sich zum Frankenstein-Flügel
hinauftragen.
    Das Analysegerät

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