Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
seine Haut olivgelb.
    Edward bedeutete der Nachtschwester, daß dies sein Patient
sei, und führte Vergil mit der Hand am Ellbogen zum
Untersuchungsbereich. Keiner von beiden sprach viel. Vergil zog sich
aus, und Edward arrangierte ihn auf dem mit Papier bedeckten
gepolsterten Tisch. »Deine Knöchel sind geschwollen«,
sagte er und befühlte sie. Sie waren fest, nicht schwammig.
Gesund, aber sonderbar. »Hm«, machte Edward und schaute
Vergil an. Der hob die Brauen und erwiderte den Blick mit einem
Ausdruck, der »Du hast noch nichts gesehen« besagte.
    »Gut, ich werde mehrere Untersuchungen vornehmen und die
Ergebnisse in einer Computersimulation kombinieren. Ultraschall
zuerst.« Edward führte paddelähnliche Impulsgeber
über Vergils ruhende Gestalt, um die Teile zu erreichen, die
für das größere Gerät schwierig aufzuzeichnen
waren. Dann schwang er den Tisch herum und schob ihn in die
emaillierte Öffnung der Ultraschalldiagnostik-Einheit – das
›Summloch‹, wie die Schwestern es nannten. Nach zwölf
separaten Durchgängen von Kopf bis Fuß zog er den Tisch
wieder heraus. Vergil hatte die Augen geschlossen und schwitzte
leicht.
    »Klaustrophobische Empfindungen?« fragte Edward.
    »Nicht sehr.«
    »Radiochromatographie ist ein wenig unangenehmer.«
    »Nur voran, MacDuff!«
    Die Radiochromatographie-Einheit war ein imponierender Kasten aus
Chrom und himmelblauen Kunststoffoberflächen, der einen kleinen
Raum einnahm. Es gab kaum genug Platz, den Tisch hineinzufahren.
»Ich bin kein Fachmann mit diesem Gerät, also kann es eine
Weile dauern«, sagte Edward, als er Vergil in die Höhlung
half.
    »Erklärt die Kostenexplosion im Gesundheitswesen«,
murmelte Vergil und schloß die Augen, als Edward die Glasluke
schloß. Der massive Magnet, der die Höhlung umgab, summte
leise. Edward gab die Anweisung ein, alle Daten an das zentrale
Bildschirmgerät im Nebenraum weiterzuleiten, und half Vergil
wieder heraus.
    »War es auszuhalten?« fragte Edward.
    »Courage«, sagte Vergil in französischer
Aussprache.
    Im Nebenraum programmierte Edward die Integration und Darstellung
der Daten auf einem großen Bildschirmgerät. Im Halbdunkeln
dauerte es ein paar Sekunden, bis erkennbare Umrisse entstanden.
    »Zuerst dein Skelett«, sagte Edward. Seine Augen
weiteten sich, als die Wiedergabe erschien. Von dort ausgehend,
zeigte der Bildschirm sodann Vergils innere Organe, die Muskulatur
und zuletzt Blutgefäße und Haut.
    »Wie lang ist der Unfall her?« fragte Edward und trat
näher zum Bildschirm. Es gelang ihm nicht, das Beben seiner
Stimme ganz zu unterdrücken.
    »Ich war nie in einen Unfall verwickelt«, sagte
Vergil.
    »Mein Gott, sie haben dich geschlagen, um Geheimnisse zu
bewahren?«
    »Du verstehst mich nicht, Edward. Sieh dir die Darstellungen
genauer an! Das sind keine traumatischen Verletzungen.«
    »Sieh mal, da ist eine Verdickung.« Er zeigte zu den
Knöcheln. »Und deine Rippen – diese verrückten
Zickzackverschränkungen. Offensichtlich irgendwo gebrochen
und…«
    »Sehen wir uns mein Rückgrat an«, schlug Vergil
vor. Edward ließ die Abbildung auf dem Schirm langsam
rotieren.
    Sofort kamen ihnen die aus Tetraedern und Oktaedern
zusammengesetzten Konstruktionen des Architekten Buckminster Fuller
in den Sinn. Es war phantastisch. Vergils Rückgrat war ein
Gebilde aus dreieckigen Knochenstrukturen, die sich in einer Art und
Weise verbanden, die Edward nicht einmal genau erfassen, geschweige
denn verstehen konnte. »Darf ich mal fühlen?«
    Vergil nickte, und Edward befühlte ihm den Rücken mit
den Fingerspitzen. Vergil hob die Arme und blickte zur Decke auf.
    »Ich kann es nicht ertasten«, sagte Edward. »Es ist
glatt. Es besteht eine gewisse Flexibilität; je fester ich
drücke, desto zäher wird es.« Er ging um Vergil herum,
die Hand um das Kinn gelegt. »Du hast keine Brustwarzen«,
sagte er. Es gab winzige Pigmentflecken, aber sonst nichts.
    »Siehst du?« sagte Vergil. »Ich werde von innen
nach außen umgebaut.«
    »Dummes Zeug«, erwiderte Edward.
    Vergil blickte überrascht. »Du kannst nicht leugnen, was
deine Augen dir zeigen«, sagte er. »Ich bin nicht derselbe,
der ich vor vier Monaten war.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest.« Edward spielte
mit den Bildern herum, ließ sie rotieren, nahm sich die
verschiedenen inneren Organe vor und spielte den Film der
Computersimulation vorwärts und rückwärts.
    »Hast du jemals etwas wie mich gesehen? Ich meine, die

Weitere Kostenlose Bücher