Blutmusik
neue
Konstruktion.«
»Nein.« Edward ging zur Tür und blieb dort stehen,
die Hände in den Taschen des weißen Kittels. »Was,
zum Teufel, hast du getan?«
Vergil erzählte es ihm. Die Geschichte kam in sich
erweiternden Spiralen von Tatsachen und Ereignissen aus ihm heraus,
und Edward mußte sich durch die Abschweifungen den Weg suchen,
so gut er konnte.
»Wie«, fragte er, »setzt du DNS in
Lesen-Schreiben-Gedächtnis um?«
»Zuerst mußt du eine Länge viraler DNS finden, die
für Topoisomerasen und Gyrasen codiert ist. Du hängst
diesen Abschnitt an deine Ziel-DNS an und erleichterst die Senkung
der Bindungszahl, um dein Zielmolekül negativ zu
überspulen. In früheren Experimenten verwendete ich
Äthidium, aber…«
»Einfacher bitte, ich habe seit Jahren nichts mit
Molekularbiologie zu tun gehabt.«
»Du hast das Ziel, ohne allzu große Schwierigkeiten
Längen von Eingabe-DNS hinzuzufügen und abzuziehen, und das
bewirkt die Anordnung der Enzym-Rückkoppelung. Ist sie
vorhanden, öffnet sich das Molekül viel leichter und
rascher für eine Transkription. Dein Programm wird auf zwei
RNS-Ketten übertragen. Eine geht zum Leser – einem Ribosom
–, um in ein Protein umgesetzt zu werden. Die erste RNS
trägt gewöhnlich einen einfachen
Startercode…«
Edward stand bei der Tür und hörte eine halbe Stunde
lang zu. Als Vergil nach Ablauf dieser Zeit durch nichts zu erkennen
gab, daß er zum Ende käme oder gar aufhören wollte,
hob er die Hand. »Und wie führt dies alles zu
Intelligenz?«
Vergil zog die Stirn in Falten. »Ich weiß es noch nicht
genau. Es fing damit an, daß ich die Replikation von
›Logik-Schaltungen‹ immer einfacher fand. Die Genomen
schienen sich dem Prozeß bereitwillig zu öffnen. Es gab
sogar Teile, von denen ich schwören möchte, daß sie
bereits für spezifische logische Aufgaben verschlüsselt
waren – aber zu der Zeit dachte ich, sie wären einfach
normale Intronen, Sequenzen, die nicht für Proteine
verschlüsselt sind, Überbleibsel von alten fehlerhaften
Transkriptionen, von der Evolution noch nicht eliminiert. Ich spreche
jetzt von den Eukarioten. Prokartionen haben keine Intronen. Aber in
den letzten Monaten habe ich nachgedacht. Hatte reichlich Zeit zum
Nachdenken, ohne Arbeit.«
Er brach ab und schüttelte den Kopf, steckte die Finger
ineinander und drehte sie hin und her.
»Und?«
»Es ist sehr seltsam, Edward. Schon in den Anfangssemestern
haben wir von den ›egoistischen Genen‹ gelernt, und
daß Individuen und Populationen keine andere Funktion haben als
die Erzeugung weiterer Gene ihrer Art. Aus Eiern werden Hühner,
um mehr Eier zu machen. Und man schien zu denken, daß die
Intronen bloß Gene seien, die keinen anderen Zweck hätten,
als sich selbst innerhalb der Zelle zu reproduzieren. Alle Welt war
sich darin einig, daß sie überflüssig wären,
nutzlos. Ich hatte keinerlei Bedenken, mit Intronen zu arbeiten. Sie
waren Ersatzteile, genetisch unfruchtbar. Ich konnte bauen, was ich
wollte.« Wieder brach er ab, aber Edward blieb still. Vergil
blickte mit feuchten Augen zu ihm auf. »Ich war nicht
verantwortlich, ich wurde verführt.«
»Ich verstehe dich nicht, Vergil.« Edwards Stimme klang
spröde, am Rand des Zorns. Er war müde, und alte
Erinnerungen an Vergils Achtlosigkeit gegen andere stellten sich
wieder ein; er war erschöpft, und Vergil leierte noch immer
weiter, sagte nichts, was wirklich Sinn ergab.
Schließlich schlug Vergil mit der Faust auf die Tischkante.
»Sie zwangen mich, es zu tun! Die gottverdammten Gene!«
»Warum, Vergil?«
»Damit sie sich nicht mehr auf uns verlassen müssen. Das
höchste egoistische Gen. Die ganze Zeit überlege ich,
daß die DNS bloß zu dem hinführte, was ich tat.
Verstehst du? Jemand dazu verleiten, daß er ihr gibt, was sie
wollte.«
»Das ist verrückt, Vergil.«
»Du hast nicht daran gearbeitet, du spürtest nicht, was
ich spürte. Um zu tun, was ich tat, hätte es einer ganzen
Forschungsgruppe bedurft, vielleicht sogar eines neuen
Manhattan-Projekts. Ich bin intelligent, aber nicht so intelligent.
Die Dinge regelten sich wie von selbst, alles fand seinen Platz. Es
war zu einfach.«
Edward rieb sich die Augen. »Ich werde jetzt noch eine
Blutprobe nehmen, und ich möchte Urin und eine
Stuhlprobe.«
»Warum?«
»Damit ich feststellen kann, was mit dir vorgeht.«
»Das habe ich dir gerade gesagt.«
»Es ist hirnverbrannt.«
»Edward, du kannst den Bildschirm sehen. Ich trage keine
Brille
Weitere Kostenlose Bücher