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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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also…«
Er nahm ihre Hand in die seine und tätschelte sie.
    »Das ist abscheulich herablassend«, sagte sie. »Ich
werde Tee kochen. Willst du welchen?« Er nickte, und sie ging in
die Küche.
    Warum nicht einfach alles sagen? fragte er sich. Ein alter Freund
verwandelte sich in eine Galaxis.
    Statt dessen räumte er den Tisch ab.
    Am Abend, unfähig zu schlafen, saß Edward aufrecht im
Bett, das Kissen im Rücken, blickte auf Gail hinab und versuchte
zu bestimmen, was zur Realität gehörte, und was nicht.
    Ich bin Arzt, sagte er sich. Ein technischer, wissenschaftlicher
Beruf. Sollte gegen Phänomene wie Zukunftsschock immun sein.
    Vergil Ulam verwandelte sich in eine Galaxis.
    Wie fühlte es sich an, mit einer Billion Chinesen
vollgestopft zu sein? Er lächelte im Dunkeln, und hätte
gleichzeitig weinen mögen. Was Vergil in sich hatte, war
unvorstellbar fremdartiger als Chinesen. Fremdartiger als alles, was
Edward oder Vergil selbst ohne weiteres verstehen konnten.
    Welche Psychologie oder Persönlichkeit würde eine Zelle
entwickeln – oder eine Ansammlung von Zellen? Er versuchte sich
seiner Grundkenntnisse über Zellumgebungen im menschlichen
Körper zu erinnern. Blut, Gewebe, Körperflüssigkeit,
cerebrospinale Flüssigkeit… Ein Organismus von menschlicher
Komplexität müßte in solch einer Umgebung vor
Langeweile verrückt werden. Die Umgebung war einfach, die
Anforderungen relativ einfach, und die Verhaltensebenen waren Zellen
angemessen, nicht Menschen. Auf der anderen Seite mochte Streß
der Hauptfaktor sein – die Umgebung war körpereigenen
Zellen wohltätig, aber fremden Zellen feindlich.
    Wenn er auch nicht wußte, was notwendigerweise real war, so
wußte er doch, worauf es ankam: auf das Schlafzimmer, den
Schein der Straßenbeleuchtung und die Schatten der Bäume
auf den Vorhängen, die schlafende Gail.
    Das war sehr wichtig. Gail in ruhigem Schlaf.
    Er dachte an Vergil, wie er die Petrischalen mit veränderten
E. coli sterilisierte. Die Flasche mit veränderten Lymphozyten.
Tragisches Geschick, Milliarden von potentiellen Genies, vernichtet
in einem alles umfassenden Untergang. Mord? Völkermord?
    Es gab keine Schranken zwischen Schlafen und Wachen. Er
betrachtete das Fenster, und die Lichter der Stadt funkelten durch,
als die Vorhänge sich öffneten. Sie hätten geradesogut
in New York wohnen können (in Erwine waren die Nächte
niemals so hell illuminiert), oder in Chikago; er hatte zwei Jahre in
Chikago gelebt und das Fenster zerbrach geräuschlos, das Glas
schälte sich zurück und fiel auseinander. Die Stadt kroch
zum Fenster herein, ein riesiger, stachliger, beleuchteter
Einbrecher, der in einer Sprache knurrte, die er nicht verstehen
konnte, gemacht aus Autohupen, den Lärm von Menschenmengen und
Baumaschinen. Er versuchte ihn abzuwehren, aber er erreichte Gail und
verwandelte sich in einen Schauer von Lichtfunken, der über das
Bett niederging, über das ganze Zimmer.
    Er schrak auf, als die Fenster unter einem Windstoß
klapperten. Es war besser, dachte er bei sich, nicht zu schlafen, und
blieb wach, bis es Zeit war, aufzustehen und sich mit Gail
anzuziehen. Als sie zur Schule ging, küßte er sie mit
Inbrunst, genoß die Wirklichkeit ihrer menschlichen,
unverletzten Lippen.
    Dann machte er die lange Fahrt zur Torrey Pines Road, vorbei am
Salk Institute mit seiner sparsamen Betonarchitektur, vorüber an
Dutzenden neuer und wiederauferstandener Forschungszentren, die
Enzyme Valley ausmachten, umgeben von Eukalyptusbäumen und den
neuen, raschwüchsigen Koniferenhybriden, deren Vorfahren der
Straße ihren Namen gegeben hatten.
    Die schwarze Tafel mit der roten Antiquaschrift erhob sich auf
ihrem mit koreanischem Gras bewachsenen Hügel. Die Gebäude
dahinter folgten der Mode kastenförmiger einfacher
Betonoberflächen; selbst der ominöse schwarze Würfel,
wo militärische Forschung betrieben wurde, machte nur in Farbe
und Material eine Ausnahme.
    Am Eingang trat ein dünner, drahtiger Mann in dunkelblauer
Uniform aus seinem Wachhaus und beugte sich zum Fenster des
Volkswagens. Er musterte Edward mit einem hochmütigen Blick.
»In welcher Angelegenheit, Sir?«
    »Ich bin mit Dr. Bernard verabredet.«
    Der Wachmann verlangte seinen Ausweis. Edward zog die Brieftasche
und gab ihm seinen Paß. Der Wachmann ging damit in sein
Häuschen und verbrachte einige Zeit am Telefon, während er
den Paß durchblätterte. Er brachte ihn zurück und
sagte, immer noch in seiner hochmütigen Art: »Es

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