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Blutnacht

Blutnacht

Titel: Blutnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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längere Zeit angeschwiegen als unterhalten.
    Daher nahm sie an, dass man ihr verzeihen konnte, wenn sie als Drachen-Lady erschien.
    Das Büro des Bezirksstaatsanwalts hatte ihr ein paar Fragen zum Fall Elsa Brigoon gefaxt – der Neuling, der den Fall bearbeitete, hätte nur die Akte etwas gründlicher lesen müssen. Aber sie schickte ihm trotzdem die Antworten per Fax zurück.
    Dann klingelte ihr Telefon, und ein Streifenpolizist namens Montez erzählte irgendwas von einer 187er Messerstecherei an der Fountain in der Nähe der El Centro, und Petra verließ das Revier wie der Blitz.
    Sie traf am Tatort ein und beriet sich mit dem Gerichtsmediziner. Er teilte ihr mit, dass sie am Leichenschauhaus mit der Arbeit im Rückstand waren und die Autopsie eine Weile dauern würde. Aber die Todesursache schien kein großes Geheimnis zu sein.
    Eine einzige Messerwunde, Exsanguination, das meiste Blut in einer Lache unter der Leiche, zur Bestätigung des Tatorts. Petra in ihrem himmelblauen Anzug war froh, dass es nicht mehr Blut gab.
    Dann nahm sie sich den Führerschein des Opfers vor und wurde traurig, weil sie es hier zum ersten Mal in ihrer Karriere als Detective mit einem Namen zu tun hatte, den sie wiedererkannte. Sie hatte sich nie groß für den Blues interessiert – jedenfalls nicht in musikalischer Hinsicht –, aber das musste man auch nicht, um zu wissen, wer Edgar Ray Lee war.
    Alias Baby Boy. Der Führerschein in seiner Hosentasche hielt nur das Wesentliche fest: weiß, männlich, ein Geburtsdatum, das ihn zum Einundfünfzigjährigen machte. Größe: eins achtundachtzig, Gewicht: hundertzwanzig Kilo. Petra kam er größer vor.
    Als sie die Angaben auf ihren Notizblock übertrug, hörte sie, wie jemand – ein Mann, der mit dem Leichenwagen gekommen war – sagte, der Typ sei ein Gott an der Gitarre gewesen, hätte mit Bloomfield, Mayall, Clapton, Roy Buchanan und Stevie Ray Vaughan zusammen gespielt.
    Petra drehte sich um und sah, wie ein bärtiger Ex-Hippie- Typ mit Pferdeschwanz in einem Overall des Leichenschauhauses den Leichnam anstarrte. Weißer Pferdeschwanz. Feuchte Augen.
    »Begabt«, sagte sie.
    »Diese Finger«, sagte der Fahrer, während er einen schwarzen Leichensack aus Plastik entfaltete.
    »Spielen Sie auch?«, fragte Petra ihn.
    »Ich klimpere. Er hat gespielt. Er – diese Finger waren … magisch.« Der Fahrer betupfte sich die Augen, zerrte wütend an dem Sack, riss ihn förmlich auf. Zzzzzzzip.
    »Fertig?«, sagte er.
    »Sekunde noch.« Petra hockte sich neben die Leiche, prägte sich erneut die Einzelheiten ein. Notierte sie auf ihrem Block.
    Gelbes T-Shirt, Bluejeans, rasierter Schädel, kleiner Kinnbart. Blaue Tätowierungen auf beiden Armen.
    Pferdeschwanz entfernte sich mit angewidertem Blick. Petra nahm die Leiche weiter in Augenschein. Edgar Ray Lees Mund stand offen und entblößte kaputte und verfaulte Zähne, bei deren Anblick Petra denken musste: rauschgiftsüchtig? Aber sie entdeckte keine Einstichnarben zwischen den Tattoos.
    Baby Boy war nicht länger als eine Stunde tot, aber sein Gesicht hatte bereits diese grünlich graue Blässe angenommen. Die Sanitäter hatten das T-Shirt um die Stichwunde herum aufgeschnitten. Ein acht Zentimeter langer senkrechter Schnitt durch den Bauch, der an den Rändern aufklaffte.
    Sie skizzierte die Wunde und schob den Block wieder in ihre Handtasche. Sie machte gerade einen Schritt nach hinten, als ein Fotograf hinter ihr verkündete: »Ich will mich vergewissern, dass die Lichtverhältnisse okay waren.« Er trat näher, verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Hintern. Rutschte mit den Füßen voran in die Blutlache.
    Sein Fotoapparat landete auf dem Asphalt und klapperte bedrohlich, aber das kümmerte Petra nicht weiter.
    Purpurrote Flecken und Tupfer zierten ihre Hose. Beide Hosenbeine waren ruiniert.
    Der Fotograf lag benommen da. Petra tat nichts, um ihm zu helfen, murmelte nur etwas Schroffes, das dafür sorgte, dass sich seine Augen und die aller anderen erstaunt weiteten.
    Sie stürmte vom Tatort.
    Ihre eigene verdammte Schuld, dass sie sich etwas Farbiges besorgt hatte.

3
    Petra arbeitete hart an dem Fall, unternahm all die üblichen verfahrenstechnischen Schritte und recherchierte zudem im Internet, was dort über Baby Boy Lee zu finden war. Bald schon war sie tief in die Welt ihres Opfers eingedrungen und fragte sich, wie es wohl gewesen war, Edgar Ray Lee zu sein. Der Bluesmann hatte als Angehöriger der gehobenen Mittelschicht

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