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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noreen Ayres
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gesagt hätte: »Helft mir, helft mir hier!«
    Als ich Cip wieder herumrollte, klopfte ich dreimal auf seinen Rücken, drehte ihn wieder und klopfte nochmals. Wenn etwas in seiner Luftröhre steckte, das ihm die Luft raubte und ihn würgen ließ, dann fiele es so vielleicht heraus. Aber nichts änderte sich.
    Phillip stand in meiner Nähe. Ich blickte nicht auf, aber es war mir auch egal, was er tat. Ich hörte, wie Constance wimmerte: »Oh, bitte.«
    Ich versuchte noch eins: Ich ging durch alle seine Jacken- taschen, um vielleicht seine Medizin zu finden, irgendetwas und entfernte seine Brieftasche. Ich öffnete sie und suchte nach Notmedizin, nach einer Karte, die mir sagte, was mit ihm nicht stimmte. Bei den Scheinen fand ich etwas in Folie — ein Kondom.
    Die Stimme über mir sagte: »Gib’ ihm das«, und Phillip reichte mir gelbe Pillen, drei davon. »Es ist Valium.«
    Es war egal, was es war. Er starb gerade.
    »Es ist Valium«, sagte Phillip wieder. »Das ist alles.«
    »Ich kann sie ihm doch nicht geben. Wie denn?« schrie ich, aber nahm sie trotzdem.
    Er sagte: »Beiß’ darauf. Ich hole Wasser«, und er ging weg.
    Ich zerbiß die Pillen und spuckte dann das Ganze in meine Hand. Dann drückte ich Cips Mund auf. Mit zwei Fingern manövrierte ich die Pillen in seinen Mund. Phillip beugte sich mit der Weichspülerflasche über ihn und drückte ihm den Mund auf. Das Wasser spritzte und gelbe kleine Stückchen liefen an Cips Wange herunter. Einige blieben aber drin, da ich hinter ihm seine Schultern hob und wieder senkte. Sein Mund ging auf und zu wie der eines Fisches. Seine Augen waren fest geschlossen, und er schien blauer zu sein. Seine Finger sahen geschwollen aus. »Schau dir das an«, sagte ich. »Was haben wir mit ihm gemacht?«
    Phillip warf mir noch eine Pille zu. Ich steckte auch sie hinein, was nicht leicht war und goß Wasser nach. Ich hoffte, daß die Pille die richtige Röhre hinabrutschte. Er würgte und man hörte jetzt röchelnde Laute von ihm. Es ermutigte mich. So schlimm wie es sich auch anhörte, wenigstens bewegte sich sein Oberkörper.
    Ich änderte meine Haltung, um so wenigstens eine Herzmassage machen zu können, wenn er aufhören sollte zu atmen. Da sah ich Annie durch die Wagenfenster, die sich im Hintergrund bewegte. Patricia hatte ihre Arme auf den Kopf gelegt und machte ein besorgtes Gesicht.
    Als ich herabsah, bemerkte ich, daß Cips Stirn und Wangen wieder glühten. Seine Knie hoben und senkten sich, seine Füße zitterten. Ich kniete nieder und wollte gerade meine Hände auf seine Schultern legen, als ich noch mehr Schreie und rasche Schritte hörte.
    Annie Dugdale kam um das Auto herumgelaufen in meine Richtung. Sie hatte irgendetwas in der Hand, und dann sah ich es genau: ein Stück Rohr. Sie hob es in dem Moment, in dem ich den Colt in die Hand nahm, der neben Cip lag und auf sie zielte. Ich rief nicht: »Halt!« Ich löste einfach aus. Der Kick warf mir die Hand hoch. Dreck wurde unter dem Auto aufgewirbelt und ich verlor die Zielrichtung. Dann erholte ich mich wieder. Als Annie sich wieder umdrehte, nachdem der erste Schuß sie etwas nach hinten geworfen hatte, schoß ich wieder.
    Ich hatte einmal über einen Mann gelesen, einen Juden aus Warschau, in den letzten Tagen des Ghettos. Das Ghetto war niedergerissen und die meisten Menschen waren umgebracht worden oder vorher schon in den Konzentrationslagern gestorben. Das Ghetto brannte. Der Mann brannte. Er lief auf die Reihe Nazis, die vor seinem Appartement standen, zu, und die SS wußte, daß er auf sie zukam und nichtvor dem Feuer weglief. Sie schossen neunmal auf ihn, und er lief immer noch. Sie schossen weiter auf ihn, bis er bei ihnen war und die Soldaten verbrannte und mit dem Messer tötete. Was lehrt uns das? Kugeln halten selten einen Mann auf, zumindest nicht gleich. Eine Frau auch nicht.
    Annie kam immer näher. Ich änderte ein wenig meine Haltung und zielte jetzt mit beiden Händen. Ich feuerte noch drei Mal. Ein Schuß traf sie im Mund.
     

Die Kohlpflücker bei Barranca und Sand Canyon arbeiten hart. Ihre Körper in Sweatshirts haben die gebeugte Form von Krickettoren.
    Auf der Ladefläche der Pick-ups, die am Highway parken, liegen Hunderte von Kohlköpfen und Lebensmittelplastiksäcke. Am Rand wehen große grüne Eukalyptusbäume im Wind, deren silberne Baumstämme heller als der Februarhimmel sind.
    Ich weiß, wie die Felder aussehen, wenn die Pflücker fertig sind: Überall verbleiben leere Stellen

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