Blutportale
umspielen.
Sie kreischte und wimmerte, schlug um sich und versuchte, die allgegenwärtige Farbe zu verscheuchen. Raus! Nur raus! In ihrer Angst und Verzweiflung merkte sie gar nicht, dass sie gegen Scheiben rannte und sich Prellungen zuzog, auch nicht, dass sich tiefe Risse im Glas bildeten, die trotz der Wucht ihres Aufpralls nicht zu erklären waren. Sie hämmerte gegen verschlossene Türen - und hinterließ tiefe Kratzer im Holz. Sie stieß schmerzhaft gegen Möbel und stürzte, um sofort wieder aufzustehen und weiterzujagen, so gut es ihr noch möglich war, ohne zu bemerken, wie Schubladen und Türen zerbarsten.
Plötzlich stand sie vor einer uralten hölzernen Tür, die eher in ein Schloss als in ein modern eingerichtetes Haus gepasst hätte - und ihre Sicht klarte auf. Die rasend machende Kopflosigkeit zerfloss, das wogende Indigo, in dem sie gerade noch gefangen schien, war verschwunden. Sie blickte auf polierte Eisenbeschläge, dicke Nieten, eingebrannte Symbole und Zeichen im dunklen Holz, mit denen sie nichts anfangen konnte, schimmernde Zierelemente aus Silber und Gold in halbkreisförmigen Mustern. Der angelaufene Silberknauf war dem Kopf und Hals eines Fabelwesens nachempfunden, einer Mischung aus Bär und Ziege, mit weit aufgerissenen Augen, herausgestreckter Zunge und vier Hörnern auf dem Schädel.
Das Portal stand zu einem Viertel offen, und als sie den Blick nach unten sinken ließ, auf ihre blutigen, zerkratzten Schienbeine und Füße, erkannte sie blutige Abdrücke, die aus der Kammer herausführten.
Ihre Abdrücke!
Hier hatte ihr Fluchtversuch begonnen. Dahinter lag Patrick. Zerstückelt.
Und abrupt erinnerte sie sich, in dieser Nacht schon einmal vor dieser Tür gestanden zu haben. Die Bilder einer Vitrine stiegen in ihrem Geist auf. Danach verblasste die Erinnerung wieder bis auf den heißen Schmerz, den sie unvermittelt wie Flammen am ganzen Körper empfunden hatte und der von ihren frischen Verletzungen ausgegangen war. Sie lagen unter der dünnen Schicht aus Mull und Tape verborgen. * Sie senkte den Kopf und betrachtete ihren Bauch, tastete nach dem Klebestreifen und zog ihn ab. Der feine Gazestoff, der sich mit Patricks Blut vollgesogen hatte, löste sich, und darunter kamen ihre Wunden zum Vorschein.
Ein Laut, in dem ihre ganze Ungläubigkeit lag, drang aus ihrem Mund: Aus den rötlichen Schnitten waren pechschwarze, eingebrannte Bahnen geworden, als habe jemand sie mit einem Brandeisen nachgezogen. Und wenn sie sich nicht täuschte, war der Schnitt, den sie als Letztes erhalten hatte, gerade eben silbrig aufgeglüht! An der Tür blitzte es ebenfalls. Sie hob den Kopf und sah, dass die Symbole auf dem Kammereingang schimmerten.
Knarrend und ohne dass sie sich gerührt hatte, schwang die Tür zurück. Sie blickte auf die Vitrine.
Sie war leer.
I. Buch
EN GARDE
I. KAPITEL
31. Oktober
Deutschland, Hamburg, Ohlsdorf
Aber finden Sie nicht, dass rosafarbene Rosen ein bisschen zu schwul aussehen?« Der Mann in dem sehr teuren, dunkelgrauen Anzug betrachtete den Blumenstrauß mit Perlenschnüren und Federn. Ein atemberaubendes Werk vollendeter Floristikkunst.
Will seufzte und wischte sich die Finger an seiner schwarzen Schürze ab. Eine Stunde hatte er damit verbracht, die Anordnung zu überdenken, und sich Mühe gegeben, den Ansprüchen des anstrengenden Kunden gerecht zu werden. Und dann das! »Sie wollen zu einer gleichgeschlechtlichen Hochzeit, Herr Trenske. Und als ich Sie fragte, welche Farbe Ihr Bräutigam ...«
»Ja, ja, ich weiß, was ich gesagt habe. Und dass ich mir Perlen und Federn wünsche.« Trenske zog hilflos die Schultern hoch, das weiße Hemd und der hellgelbe Schlips verrutschten leicht. »Aber ich bin mir nicht mehr sicher.«
»Rosafarbene Rosen stehen für Jugend und Schönheit«, beruhigte ihn Will.
Trenske sah auf die Uhr. »Mein Gott! Noch eine Stunde, bevor ich zum Standesamt muss.« Unglücklich betrachtete er den Strauß. »Was machen wir denn jetzt?«
Will hasste solche Aussprüche. Mit »wir« meinte der Kunde ihn, und es war die kaum versteckte Aufforderung, alles neu zu arrangieren. Aber er zwang sich zu einem Lächeln. »Ich denke, dass wir bei den Perlenschnüren zurückschrauben sollten. Machen Sie sich keine Sorgen, das geht ganz schnell.« Will nahm seine Kreation, drehte sich um und eilte durch den Laden.
Das India erinnerte durch seine verwinkelte Anordnung mehr an einen Garten als an einen Blumenladen. Will hatte seine Pflanzen- und
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