Blutportale
sich seine Gedanken mit.
Alles hatte sich geändert. Hatte er zu lange gezögert? Hätte er sich Saskia Lange einfach schnappen sollen, als sie noch die Gabe besaß?
Es war müßig, nachzudenken. Dennoch: dem Ziel so nahe ...
Levantin war Geschichte, und damit gab es auch für ihn keine Aussicht mehr auf Erfolg. Erst musste er einen von ihnen, von den Gestrandeten, finden, die in der Lage waren, diese ganz besondere Gabe an die Menschen weiterzugeben, wie es Levantin zu tun vermocht hatte. Denn ohne diese Gabe gab es keine Rückkehr.
Nicht unbedingt die einfachste Aufgabe, denn wenn sie sich unauffällig verhielten, waren sie schwer zu entdecken. Er hatte sich so sehr auf Levantin konzentriert, dass es derzeit keinen weiteren Kandidaten gab. Sehr ärgerlich.
Dabei hatte er derart viel in Kauf genommen, sich beim Duell von Levantin mehr als nur anritzen lassen und starke Schmerzen ertragen. Sich ihm als Helfer angebiedert und zu einem Rädchen im Getriebe gemacht, das gleichzeitig sein eigenes Maschinchen antrieb. Saskia Lange gegenüber hatte er erfolgreich den Anschein erweckt, gegen Levantin zu arbeiten. In Wahrheit hatte er ihn über jeden Schritt der Frau informiert und die Observation des Trios übernommen, wenn Levantin dazu nicht in der Lage gewesen war. Es war ein ständiger Verrat an beiden. Das Pendeln war ihm nicht schwergefallen. Er konnte immer schon gut intrigieren, und der Hochmut seines »Herrn« hatte ihn noch dazu vor jeglichem Verdacht geschützt. Wie hätte ein Insekt wie er Eigeninitiative entwickeln können?
Täuschung war so eine leichte Sache, wenn man sich erst einmal auf diese Kunst verstand. Der Professor öffnete die Krawatte ein Stück weit. Das Fazit der letzten Tage war, dass das Warten wieder von vorn begann. Schreien, Brüllen, Toben, das würde alles nichts bringen und wäre bloße Energieverschwendung.
Siebenhundertelf Jahre hielt er schon durch, mitten unter den nervigen, jammernden Primitiven, die trotz allem immer wieder liebenswürdig waren, wenn man am wenigsten damit rechnete. Aber der Wunsch, in seine Welt zurückzukehren, hatte sich nicht abgeschwächt; dieser Wunsch hatte ihn mit Levantin verbunden, auch wenn sie nicht aus der gleichen Sphäre stammten. Im Gegensatz zu ihm verbarg der Professor sein eigenes Charisma sehr gut. Er blieb unsichtbar und weckte keine Aufmerksamkeit. Damit konnte man sich viel mehr erlauben, ohne wahrgenommen zu werden. Weder von den Menschen noch von den Verirrten. Der Professor bedauerte Levantins Vernichtung, die überraschend gekommen war. Doch er hätte sich denken können, dass das Glück nicht ewig mit dem Maitre sein würde. Nun galt es, sich auf andere Ansätze zu konzentrieren, die er weiterverfolgen würde: die Villa des Sirs beispielsweise. Er würde sie sich kaufen. Es gab keine Erben, und vielleicht barg das Haus noch mehr Schätze. Auch aus dem Buch, das Saskia dem Mönch am Baikalsee abgenommen hatte, sowie aus der Bauanleitung für die Kammer in der Villa ließen sich unter Umständen neue Erkenntnisse gewinnen.
Schade fand er, dass Levantin die Mitwissenden, die Consciten, ausgelöscht hatte. Echte magisch begabte Menschen, die er lieber Manipulatoren nannte, waren selten zu fassen. Sie konnten mitunter Blutportale öffnen; diese Option hatte Levantin leider in seiner üblichen Hybris vernichtet. Aber der Professor war sicher, früher oder später andere zu finden.
Außerdem würde er Justine nicht aus den Augen verlieren. In ihr steckte Potenzial, von dem sie nichts ahnte - und von dem auch er noch nicht wusste, wann er es brauchen konnte. Er bremste die Drehung des Stuhls mit den Füßen, so dass er in die blaue eingefärbte Sonne schaute. Und die Erde war wüst und leer. Und es war finster. Ein wehmütiges Lächeln huschte über sein Gesicht. Die Erde hatte wirklich etwas Wüstes, Leeres und Finsteres - im Vergleich zu dem Ort, von dem er stammte.
Der Professor schaute in das Blau. So war es in seiner Heimat gewesen, nur wärmer, schöner, und die Luft roch nach etwas, für das es hier keinen Namen gab.
Außer Zuhause.
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