Blutrote Sehnsucht
kein Hehl daraus machen, Erich. Ann ist eine ... nun ja, etwas ungewöhnliche junge Frau, und ich finde, dass Sie das wissen sollten.«
»Junge Frauen sind generell recht seltsame Geschöpfe, finde ich.«
Ach ja? , dachte Ann und wollte schon eintreten, um dieser lächerlichen Unterhaltung ein Ende zu bereiten, als ihr ein schrecklicher Gedanke kam, der sie abrupt den Schritt verhalten ließ. Ihr Onkel würde ihrem Cousin doch wohl nicht alles über sie erzählen? Das ging ihn überhaupt nichts an! Sie blieb im Schatten der Tür stehen, wo sie nicht gesehen werden konnte.
»Es ist mehr als das, befürchte ich ...« Onkel Thaddeus räusperte sich, aber offensichtlich konnte er nicht fortfahren.
»Keine Sorge, Mylord«, sagte Van Helsing. »Ich habe gehört, was die Dorfbewohner reden.«
»Und was reden sie?«, erwiderte ihr Onkel mit unüberhörbarer Resignation in der Stimme. Ann war nicht sicher, ob sie es ertragen würde zu hören, was die Dorfbewohner über sie tratschten.
»Dass sie eine Hexe ist, die weiß, was andere denken«, antwortete Van Helsing ruhig. »Dass sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat, der es ihr ermöglicht, einem Menschen ins Herz zu sehen. Was aber natürlich alles Unsinn ist.«
Ihr Onkel stand auf und begann, auf und ab zu gehen.
Lach!, flehte Ann ihn im Stillen an. Als wäre es zu verrückt, um wahr zu sein. Das ist es, was ich tun würde.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, dass Ann etwas Besonderes ist, Erich.«
Nein! Erzähl es ihm nicht!
»Und jetzt werden Sie sagen, es stimmte, was die Dorfbewohner denken.« Van Helsing kicherte. »Aber sagen Sie ruhig, was immer Sie auch in Umlauf bringen wollen. Ich verstehe schon. Sie ist ein schönes Mädchen und dazu noch reich. Es ist verständlich, dass Sie Mitgiftjäger entmutigen wollen.«
»Ann ertrüge weder das übliche Umwerben, noch könnte sie normale eheliche Beziehungen unterhalten, Erich.« Die Stimme ihres Onkels war jetzt sehr bestimmt und fest. »Sie ... sie mag es nicht, berührt zu werden.«
»Welche Frau mag das schon?« Van Helsing lachte. »Jedenfalls nicht so, wie wir Männer sie berühren wollen.« Es lag etwas in seiner Stimme, was ... bedrohlich klang. »Männer und Frauen sind nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt, Lord Brockweir.«
»Nein, es ist mehr als das. Seit Anns fünfzehntem Geburtstag ... nun ja, seitdem verabscheut sie es, berührt zu werden.«
Ein kurzes Schweigen entstand. Ann wünschte, sie könnte Van Helsings Gesicht sehen – doch diesen Wunsch verspürte sie nur so lange, bis Cousin Erich weitersprach. »Ich möchte nur Ihre Erlaubnis, Ihrer Nichte meine Bewunderung zu zollen, Lord Brockweir.« Seine Stimme triefte geradezu vor scheinheiliger Aufrichtigkeit. »Mit dem gebotenen Respekt. Sie ist ein Engel. Sollte ich das große Glück haben, ihre Zuneigung zu gewinnen, würde ich sie wie eine zarte Treibhausorchidee behandeln, sie vergöttern und beschützen.«
Glaub ihm nicht, Onkel! Ich brauche ihn nicht einmal zu berühren, um dir sagen zu können, dass er ein Lügner und ein Schwindler ist. Aber sie sah, dass ihr Onkel sein Brandyglas zu einem Toast anhob.
»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück bei Ihrer Werbung, junger Mann. Ich werde tun, was ich kann, um sie zu unterstützen.«
Onkel! Wie konnte er ihr nur so in den Rücken fallen! Ann fühlte sich verraten und verkauft, als sie auf dem Absatz herumfuhr und nach oben lief.
Südlich von Bath ritt Stephan durch die Nacht. Das Licht tagsüber war nur schwer zu ertragen gewesen, obwohl er bis unter die Augen vermummt gewesen war. Da er keine Zeit verlieren durfte, war er durchgeritten, doch nun begann er zu ermüden, trotz der Kraft, die er besaß. Sein Pferd war jedoch ausgeruht, da er es in Bath gewechselt hatte, und trug ihn in einem leichten Galopp über die breite Straße, über der der Mond ein Versteckspiel mit den schweren Wolken eines herannahenden Gewitters trieb. Stephan konnte schon den Regen riechen.
Seine Gedanken schweiften ab zu Kilkenny, den er als die Wurzel des Übels bezeichnet hatte, das er zu bereinigen gedachte. Aber das stimmte nicht. Das Übel war er selbst, weil Kilkenny von Asharti zum Vampir gemacht worden war und Stephan wiederum für Asharti und all die Verbrechen, die sie in der Welt begangen hatte, verantwortlich war.
Mit Beatrix hatte es begonnen. Er hatte die schöne, schon als Vampirin geborene Beatrix in den Straßen von Amsterdam gefunden, wo sie, gerade mal siebzehn, von ihrer Mutter im Stich
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