Blutsgeschwister
hielt und sie aufaß.
»Es geht nicht um Pilze«, sagte Fancy und stellte die Obstschale auf den Tisch. »Es geht um die Türen in den Pilzen. Wäre es nicht praktisch, wenn …« Fancy erstarrte, weil ihr klar wurde, dass sie für Daddy mitgedeckt hatte, etwas, das sie schon sehr lange nicht mehr getan hatte. Sie nahm den Teller, den sie für ihn hingestellt hatte, und erhaschte einen Blick auf sein Gesicht auf der Porzellanoberfläche, aber sie konnte das Bild nicht festhalten.
»Was schaust du dir an?« Kit beobachtete sie genau.
»Nichts.« Fancy dachte kurz daran, Kit zu erzählen, dass sie Daddy gesehen hatte, wenn auch nur für eine Sekunde. Aber sie entschied sich dagegen. Kit würde sich nur aufregen, und wenn sie sich zu sehr aufregte, könnte sie es an Franken auslassen. »Eines Tages finde ich heraus, wie man eine Hexentür öffnet. Und nur, weil etwas ein Märchen ist, heißt es nicht, dass es nicht wahr ist.« Fancy räumte das überflüssige Gedeck weg. »Und Franken wird nicht mehr lange ›echt‹ sein, wenn du nicht aufhörst, ihn so viel zu ritzen. Gib ihm wenigstens Zeit zu heilen. Sonst entzündet sich noch was.«
»Ich sollte wirklich vorsichtiger mit ihm sein. Weißt du, was er gestern gesagt hat?« Kit kippte mit verträumtem und entrücktem Blick Bacon und Eier auf eine Servierplatte. »Er sagte: ‚Es ist hier viel heller mit dir. Du versprühst Licht.‘» Sie hielt sich den metallenen Servierlöffel vors Gesicht und lächelte ihr Spiegelbild an. »›Du versprühst Licht.‹ Ist das nicht hübsch?«
»Umwerfend.« Fancy stieß Kit mit der Hüfte an, als sie an ihr vorbeiging, um Eier und Bacon auf den Tisch zu stellen. »Aber er würde alles sagen, nur damit du aufhörst, ihn zu ritzen.«
Kit presste den Löffel an ihre Brust und sank wie ohnmächtig gegen die Theke. »Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass er gelogen hat?«
»Doch.«
Kit stellte sich wieder aufrecht hin und funkelte ihre Schwester böse an. »Weißt du, manchmal könntest du mir schon ein bisschen meinen Spaß lassen, verdammt noch mal.«
»Jungs lügen immer.« Fancy zuckte mit den Schultern. »Je früher du es akzeptierst, desto besser.«
»Woher willst du das wissen?« Kit warf mit dem Löffel nach ihr, aber Fancy, die an Kits Launen gewöhnt war, fing ihn auf, ohne hinzusehen, und legte ihn sacht auf den Tisch.
»Ja, Fancy, woher willst du das wissen?«
Die Schwestern fuhren zusammen, als Madda die Tür hinter sich mit dem Fuß zuschlug. Auf dem Arm hatte sie Lebensmittel vom Alcide’s Cajun Market . Sie trug ihre schwarzen Arbeitsklamotten mit ihrem Namen, Lynne, über der Brust aufgestickt. Sie sah verschwitzt und müde aus und glücklich darüber, zu Hause zu sein.
Fancy überkam derselbe dankbare Schauer, den sie immer spürte, wenn sie ihre Mutter sah. Ganz so, als wäre Madda irgendwie mit einer List dazu gebracht worden, sich um sie zu kümmern, und könnte jeden Moment die Wahrheit herausfinden und fliehen. Aber ihre äußere Ähnlichkeit mit den Schwestern ließ keinen Zweifel an ihrer Mutterschaft: die lebhaften Augen, der Ballerinahals, die schokoladenzarte Haut und der weiche Gang, der aus jedem Schritt einen Tanz machte. Früher war Maddas Haar auch so schwingend lang gewesen wie das von Fancy, aber da sie jede Nacht in der Fabrik arbeiten musste, hatte sie weder die Zeit noch die Energie, die man für solche Eitelkeiten brauchte. Also hatte sie sich den Kopf rasiert. So war Madda: Wenn etwas unbequem wurde, musste es weg.
»Hat eine von euch etwa einen Freund, und ich weiß es nicht?«, fragte sie grinsend.
»Kotz«, sagte Fancy und ließ sich auf einen Stuhl am Tisch fallen.
»Ich nicht«, sagte Kit, als Madda sie ansah. »Zu meiner unendlichen Schande.« Sie nahm ihr eine der Einkaufstaschen ab und half, die Sachen wegzuräumen.
»Das ist keine Schande«, rief Fancy und sah ihnen bei der Arbeit zu. »Jungfrauen kommen automatisch in den Himmel.«
»Himmel, Schimmel. So dringend muss ich nun auch nicht erlöst werden.«
Auf dem Weg zum Brotkasten gab Madda Kit einen Klaps auf den Hinterkopf. »Sag nicht so was. Und wenn ihr einen Freund wollt, geht raus und sucht euch einen. Wie wollt ihr jemanden kennenlernen, wenn ihr nie aus dem Haus geht?«
Es war Freitag, und Madda gab den Schwestern ihr Taschengeld – ein großzügiges, da sie sich ums Haus kümmerten, meistens kochten und alle Hausarbeiten erledigten. Es zahlte sich aus, Madda keine Umstände zu bereiten.
Als sich Kit zu
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